Tod in Kasachstan

 

Vor 60 Jahren starb der Künstler und Kommunist Heinrich Vogler

 

„Meine besten Freunde, Ihr Dichter und Schriftsteller. Eure Karte erschien wie ein leuchtender Stern in dunkler hoffnungsloser Sternennacht. Mein Krankheitszustand war schon in vollständige Hilflosigkeit verwandelt. Man fuhr mich so weitere 18 km ins Land in ein primitives Krankenhaus. Ich bin abgemagert wie ein Gespenst, friere bei jedem Wetter, die Eigentemperatur übersteigt nicht mehr 36 Grad. Da ich keine 20 Schritte mehr gehen konnte, hatte ich mit diesem letzten einsamen Steppenweg abgeschlossen.“ Als diese Karte am 27. Juni 1942. ihrem Empfänger – den Dichter Erich Weinert – in Moskau erreichte, war ihr Schreiber bereits tot.

 

Vor 60 Jahren, am 14.Juni 1942 starb der deutsche Maler, Schriftsteller, Pädagoge und Kommunist Heinrich Vogeler im Krankenhaus des Kolchos „Budjonny“ in der Steppe Kasachstans. Monatelang hatte ihn seine Rente nicht mehr erreicht. Er litt Hunger und Kälte in der eisigen Steppe, in die er, der auf der Sonderfahndungsliste der deutschen Faschisten stand, zu seinem Schutz verschickt worden war. Erst nach dem Ende der Belagerung Moskaus durch die deutschen Truppen konnten ihm Erich Weinert und andere Emigranten Unterstützung zukommen lassen. Doch Vogelers Gesundheit war bereits angeschlagen und der fast 70 jährige verkraftete die Entbehrungen der letzten Monate nicht mehr.

 

Johann Heinrich Vogeler wurde am 12.Dezember 1872 als Kind eines Bremer Eisenwarengroßhändlers geboren. Doch anstatt das väterliche Geschäft zu übernehmen, beschloss der junge Vogeler, an der Düsseldorfer Kunstakademie zu studieren. 1894 stieß Vogler zu einer Gruppe von Landschaftsmalern in der Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen, der unter anderem Fritz Mackensen und Fritz Overbeck angehörten. Mit der väterlichen Erbschaft kauft sich Vogeler in Worpswede ein Haus, den Barkenhoff, zu dem 14 Morgen zum Teil bewaldetes sowie landwirtschaftlich genutztes Land gehörten.

 

Über sein künstlerisches Frühwerk als Romantiker und Jugendstilmaler urteilte Vogeler später in seiner Autobiographie: „Meine graphischen Arbeiten aus dieser Zeit drückten wohl die Horizontlosigkeit aus. Unbewusst einstand eine rein formale wirklichkeitsfremden Phantasiekunst ohne Inhalt. Sie war eine romantische Flucht aus der Wirklichkeit, und daher war sie auch wohl für den bürgerlichen Menschen eine erwünschte Ablenkung von den drohenden sozialen Fragen der Gegenwart.“

 

Wie viele Künstler begeisterte sich Vogeler anfangs für den Weltkrieg, in den er als Freiwilliger zog. Die grausame Kriegsrealität ernüchterte ihn schnell und begeistert nahm er die Nachricht vom Ausbruch der Revolution in Russland auf. „Durch die russische Revolution wird uns Deutschen noch einmal ein Weg, eine goldene Brücke gebaut, diesem Blutgericht ein Ende zu machen.“

Vogeler schrieb vor dem Hintergrund des Brest-Litowsker Diktatfriedens einen Friedensappell an Kaiser Wilhelm II und einen weiteren Brief an Generalstabschef Erich Ludendorff. Der von Ludendorff geforderten Erschießung entging Vogeler nur durch die Einlieferung in eine Irrenanstalt, die er nach zwei Monaten als „staatlich geprüfter Irrer“ unter Polizeiaufsicht wieder verlassen konnte.

 

Der Barkenhoff wurde in den letzten Kriegsmonaten zum Treffpunkt von Revolutionären, Kriegsgegnern und ausländischen Kriegsgefangenen. Vogeler wurde 1918 Mitglied der SPD, die er Anfang 1919 ernüchtert verlässt. „Völlig unpolitisch wurde ich durch 4 Jahre Feld Sozialist, Mitglied der Mehrheitspartei. ... Doch in der Partei habe ich nur Gegner des Erfurter Programms gefunden“, beschrieb er seine Enttäuschung. Bei Ausbruch der Revolution wurde der Künstler in den örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat der Stadt Osterholz gewählt, wo er für die Versorgung der Landbevölkerung zuständig war.

 

Mit der Gründung der Kommune Barkenhoff strebte Vogeler, der sich mittlerweile zu einem utopischen Sozialismus bekannte, nach der Niederschlagung der Bremer Räterepublik die Errichtung einer sozialistischen Modellgemeinschaft an. Die „Arbeitsschule“ Barkenhoff sollte als „Aufbauzelle der klassenlosen menschlichen Gesellschaft“ dienen. Ideen der Lebensreformbewegung, Siedlergedanken und Rätetheorien flossen gleichermaßen in das Projekt ein. Persönliche Zwiste und finanzielle Nöte trieben die Kommune jedoch bald in die Existenzkrise.

 

Weihnachten 1922 besuchte der polnischstämmige Altbolschewist Julian Marchlewski, der im Auftrag der Kommunistischen Internationale in Deutschland weilte, seine Tochter Sonja, die auf dem Barkenhoff lebte und später Vogelers zweite Frau wurde. Marchlewski war gerade zum Vorsitzenden der von ihm mitinitiierten Internationalen Roten Hilfe ernannt worden. Die Rote Hilfe mit Sektionen in vielen Ländern leistete proletarischen politischen Gefangenen und ihren Familien materiellen, juristischen und moralischen Beistand. Schnell begeisterte sich Vogeler für Marchlewskis Vorschlag, den Barkenhoff als Erholungsheim für die Kinder politischer Gefangener an die Rote Hilfe zu vermieten. Nach dem endgültigen Scheitern des Experiments Arbeitsschule übertrug Vogeler 1923 den Barkenhoff sogar vollständig der Roten Hilfe.

 

In den folgenden Jahren widmete sich Vogler vor allem künstlerisch dem Aufbau der Roten Hilfe. Als werbewirksames Aushängeschild bestand zwischen Vogeler und dem Hilfswerk eine derartig enge Beziehung, wie sie bei keinem anderen Künstler zu finden war. Auch in den Zentralvorstand der Rote Hilfe Deutschlands wurde Vogeler, der im Spätsommer 1925 der KPD beigetreten war, gewählt.

Es entstand eine Vielzahl von Bildern mit Motiven aus dem Leben der Roten Hilfe sowie über den sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion, die Vogeler in den 20er Jahren mehrfach bereiste. Diese Bilder wurden für zur Illustration von Zeitschriften der Roten Hilfe und der KPD, als Motive von Beitragsmarken, Postkarten und Plakaten sowie zum Verkauf auf Solidaritätsbasaren verwendet. Im Frühjahr 1924 veranstaltete die sowjetische Rote Hilfe, die MOPR, in Moskau eine Ausstellung mit Bildern Vogelers, deren Erlös dem Kinderheim Barkenhoff zufloss.

 

Als die Strömungskämpfe innerhalb der KPD auch auf die Rote Hilfe übertragen wurden, stellte sich Vogeler auf die Seite der sogenannten Parteirechten um den ehemaligen KPD-Vorsitzenden Heinrich Brandler und wurde aus der Partei ausgeschlossen. Nachdem er sich gegen die Absetzung des Zentralsekretärs der Roten Hilfe Jacob Schloer gewandt hatte, ließ Wilhelm Pick den Stifter des Barkenhoff als „Feind der Roten Hilfe“ auch aus dieser Organisation ausschließen.

 

Ab 1931 lebte Vogeler in Moskau, wo er trotz Ausschlusses aus der KPD für die MOPR arbeitete. Zusammen mit dem Museum der neuen westlichen Kunst und der Vereinigung der Sowjetischen Künstlerverbände erfolgte 1932 eine Ausstellung seiner Werke und 1935 zeigte die MOPR im Gorki-Park die Dokumentation „Der Weltfaschismus und die internationale Solidarität der Arbeiterklasse“, zu der Vogeler die künstlerische Leitung innehatte. Zu dem 1934 erschienenen Band „Das Dritte Reich“ mit Versen von Johannes R. Becher steuerte Vogler die Illustrationen bei. Die letzte Ausstellung zu Lebzeiten des Künstlers eröffnete Wilhelm Pieck im Mai 1941 in Moskau anlässlich des fünfzigjährigen Arbeitsjubiläums Vogelers.

Während sein Sohn Jan sich nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion der Roten Armee anschloss, entwarf Heinrich Vogler antifaschistische Flugblätter und Rundfunkansprachen, bis er aufgrund der schnell vorrückenden Front am 13.September 1941 nach Kasachstan ins Gebiet Karaganda evakuiert wurde.

 

Nick Brauns