junge Welt 21.04.2008 / Thema / Seite 10
Vor fünf Jahren verschlechterten sich die Beziehungen
zwischen den NATO-Alliierten USA und Türkei wegen des
Irak-Krieges dramatisch. Doch innerhalb des letzten halben Jahres
haben strategische Veränderungen die Türkei in den Schoß
der NATO zurückgeführt. Hintergrund ist die geplante
US-Aggression gegen den Iran. Leidtragende dieses neuen
Einverständnisses sind die Kurden in der Türkei und in
Nordirak.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Türkei,
neben Israel, der wichtigste Verbündete der USA im Nahen Osten
und östlicher NATO-Frontstaat gegen die Sowjetunion. Zu einem
gewissen Bruch zwischen USA und Türkei kam es im Vorfeld des
US-Krieges gegen Irak, als die türkische Nationalversammlung am
1. März 2003 mehrheitlich gegen den Wunsch Washingtons votierte,
in der Türkei 62000 US-Soldaten für den Angriff zu
stationieren. Daß die USA dennoch eine nördliche Front
gegen Bagdad eröffnen konnten, hatten sie den großen
irakisch-kurdischen Parteien – der Demokratischen Partei
Kurdistans KDP von Masud Barzani und der von Jalal Talabani geführten
Patriotischen Union Kurdistans PUK – zu verdanken. KDP und PUK
boten den US-Invasoren ihre Peshmerga-Milizen als Bodentruppen
an.
Als Belohnung für ihre fortdauernde Kollaboration
erhielten die schon seit 1991 durch eine Flugverbotszone unter
US-Protektion stehenden irakischen Kurden eine weitreichende
Autonomie im besetzten Irak. Barzani wurde Präsident dieser
nordirakischen Region und Talabani gar irakischer »Präsident«.
Für Ankara war dies ein Horrorszenario. Während in der
Türkei das Wort »Kurdistan« verboten ist, fand sich
im Nachbarland plötzlich eine »Autonome Region Kurdistan«
mit eigener Flagge, Regierung und Milizarmee.
Die Existenz
eines solchen kurdischen Teilstaates wirkte ermutigend auf die 20
Millionen weitgehend rechtlosen türkischen Kurden, die
ihrerseits nach Autonomie strebten. Die Kandil-Berge an der
irakisch-iranischen Grenze dienten als Rückzugsgebiet für
die Guerillakämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Sie
hatten nach der Verschleppung ihres Vorsitzenden Abdullah Öcalan
1999 mehrheitlich die Türkei verlassen, um so eine friedliche
Lösung des Kurdenkonfliktes zu ermöglichen. Da die
türkische Armee trotz des von der Arbeiterpartei ausgerufenen
Waffenstillstands Hunderte Guerilleros tötete, nahm die PKK 2004
erneut den bewaffneten Kampf auf. Immer energischer forderte die
Regierung in Ankara von den US-Besatzern im Irak ein militärisches
Vorgehen gegen die aus dem Norden in die Türkei einsickernden
Guerillakämpfer. Washington versicherte zwar, daß die PKK
eine Terrororganisation sei, die im Irak nichts verloren habe. Doch
es folgten keine Taten, denn die USA konnte es sich angesichts des
wachsenden bewaffneten Widerstands in den arabischen Landesteilen des
Irak nicht leisten, noch eine Front im ruhigen kurdischen Norden zu
eröffnen. Der im Herbst 2006 als Sonderbeauftragter des Pentagon
zur PKK-Bekämpfung nach Ankara gesandte General a. D. Josef
Ralston nutzte seinen Posten statt dessen als Lobbyist des
Rüstungskonzerns Lockheed-Martin zur Abwicklung
milliardenschwerer Kampfflugzeuggeschäfte mit der Türkei.
Bei Meinungsumfragen gilt die Türkei inzwischen als das Land,
in dem die USA das geringste Ansehen genießen. Die »German
Marshall Fund of the United States«, eine aus deutschen
Spendengeldern 1972 aufgebaute Einrichtung in Washington,
veröffentlichten im Sommer 2007 die Studie »Transatlantic
Trends 2007«: 83 Prozent der Befragten in der Türkei
mißbilligen Präsident George W. Bushs Außenpolitik,
und 74 Prozent betrachten die globale Führungsrolle der USA als
nicht wünschenswert. Diese gegen die USA gerichtete Stimmung
spiegelte sich 2006 im türkischen Action-Film »Tal der
Wölfe – Irak«. Türkische Rambos übten
darin nach einer Demütigung durch US-Soldaten im Nordirak
blutige Rache an den US-Besatzern. Das Ausgangsszenario von »Tal
der Wölfe – Irak« beruht auf einer wahren
Begebenheit. Am 4. Juli 2003 hatten US-Soldaten in der nordirakischen
Stadt Sulaymania elf Offiziere einer türkischen Kommandoeinheit,
die einen Anschlag auf den kurdischen Gouverneur der Provinz Kirkuk
geplant hatten, verhaftet und mit Säcken über dem Kopf
abgeführt.
Erneut schlugen die nationalistischen Wellen
im Frühjahr 2007 hoch. Die kemalistische Opposition und die
türkische Armeeführung forderten einen Militäreinmarsch
in den Nordirak – vor allem, um die islamisch-konservative
Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Erdogan unter Druck
zu setzen. Am 17. Oktober bevollmächtigte die Mehrheit der
türkischen Nationalversammlung nur gegen die Stimmen der
kurdischen »Partei für eine Demokratische Gesellschaft«
DTP die Regierung zu grenzüberschreitenden Operationen. Nicht
nur die PKK, sondern auch der kurdische Präsident Barzani, der
damals noch schützend seine Hand über die Guerillakämpfer
hielt, wurde zum Feind der Türkei erklärt. So drohte die
Tageszeitung Hürriyet am 22. Oktober 2007 Barzani in einem
Leitartikel an, man werde »den ›kurdischen Traum‹
in einen ›türkischen Alptraum‹ verwandeln«
und den Nordirak »zwanzig Jahre in die Vergangenheit
zurückwerfen«. Angesichts eines Vetos aus Washington
befürchteten manche Beobachter militärische
Auseinandersetzungen zwischen US-Besatzern und der türkischen
Armee. Verschärft wurde die Krise durch eine vom
außenpolitischen Ausschuß des US-Kongresses
verabschiedete Verurteilung des türkischen Genozids an den
Armeniern während des Ersten Weltkrieges. Ankara zog seinen
Botschafter Nabi Sensoy aus Washington ab. Doch offenbar handelte es
sich um Theaterdonner; nur wenige Wochen später kam es zu einer
Wende in den türkisch-amerikanischen Beziehungen.
Bei einem Treffen mit dem türkischen Regierungschef
Erdogan und dem irakischen Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki am
1. November in Istanbul machte US-Außenministerin Condoleezza
Rice auf versöhnlich und nannte die PKK »einen Feind der
Vereinigten Staaten, ebenso wie sie ein Feind der Türken ist«
(FAZ vom 2.11.2007). Rice sagte der Türkei die Unterstützung
von Finanzsanktionen gegen die PKK und ihre Unterstützer zu. In
einem ersten Schritt wurde wirtschaftlicher Druck auf die kurdische
Regionalregierung im Nordirak ausgeübt, die daraufhin am 3.
November die »Partei für eine Demokratische Lösung in
Kurdistan« PCDK als bislang legalen Ableger der PKK im Nordirak
verbot. Peshmergas riegelten die Straßen zu den Kandil-Bergen
ab. Weder Lebensmittellieferungen noch Journalisten gelangten seitdem
ins PKK-Gebiet.
Die abschließende Einigung zwischen den
USA und der Türkei erfolgte auf einem als Krisentreffen
anberaumten Spitzengespräch zwischen US-Präsident George W.
Bush und dem türkischen Premierminister Erdogan am 5. November
2007 in Washington. Für die Rückkehr des verlorenen
Sohnes in die NATO hatte der türkische Ministerpräsident
verlangt, die USA sollten die PKK aus dem Nordirak vertreiben
oder zumindest grünes Licht für grenzüberschreitende
türkische Militäroperationen geben. Außerdem sollte
die kurdische Regionalregierung in ihre Schranken gewiesen werden.
Nun bot Bush erstmals konkrete Maßnahmen an: »Gute,
akkurate Geheimdienstinformationen, die schnell geliefert werden und
auf moderner Technik basieren, werden es viel einfacher machen,
effektiv gegen die Rebellen vorzugehen«, wird er in Welt online
vom 5. November 2007 zitiert. Die USA versorgten seitdem das
türkische Militär mit Informationen ihrer Spionageflugzeuge
über nordirakische PKK-Stützpunkte, und Israel lieferte der
Türkei unbemannte Aufklärungsdrohnen nebst technischem
Personal. Mitte Dezember erfolgte ein erster schwerer türkischer
Luftangriff auf die Kandil-Berge, bei dem vor allem die
Zivilbevölkerung in den Dörfern getroffen wurde. Die USA
hatten den Luftraum im besetzten Irak für den
völkerrechtswidrigen Überfall geöffnet und den Bombern
die genauen Ziele vorgegeben.
Unmittelbar nach dem ersten
Luftangriff der Türkei traf US-Außenministerin Rice
überraschend in der nordirakischen Erdölstadt Kirkuk ein
und verkündete die Verschiebung eines für Dezember 2007
geplanten Referendums über die Zukunft der von Kurden, Arabern
und Turkmenen bewohnten Stadt. Laut Artikel 140 der irakischen
Verfassung sollen die Bewohner von Kirkuk und weiteren außerhalb
der kurdischen Autonomieregion gelegenen kurdisch besiedelten
Gebieten abstimmen, ob sie zur Region Kurdistan oder zum Zentralirak
gehören wollen. Ankara, aber auch arabische Vertreter in der
irakischen Regierung wollen verhindern, daß Kirkuk Kurdistan
zugeschlagen wird, denn aufgrund der Ölfelder könnte so
eine wirtschaftliche Grundlage für einen unabhängigen Staat
entstehen. Die Verschiebung des Referendums auf unbestimmte Zeit
bedeutet so die von der Türkei gewünschte Schwächung
der von KDP und PUK beherrschten kurdischen Regierung, die weiterhin
von Transferzahlungen aus Bagdad beziehungsweise Washington
abhängig ist.
Hintergrund für den Richtungswechsel
Washingtons gegenüber der Türkei ist die aggressive
US-Politik gegen den zum Mittelpunkt der »Achse des Bösen«
ernannten Iran. Die Türkei ist die größte
Volkswirtschaft des Nahen Ostens mit starkem ökonomischen
Wachstum. Gleichzeitig unterhält sie die von ihrer
Mannschaftsstärke her zweitgrößte NATO-Armee. Die
Türkei ist geopolitisch das Bindeglied zwischen Europa, dem
Nahen Osten und dem Kaukasus. So kamen die Analytiker des
privatwirtschaftlichen Intellegence Service »Stratfor.com«
am 23. Oktober 2007 zum Resultat: »Man sollte die Türkei
als eine sich rasch entwickelnde Regionalmacht betrachten –
oder, im weitesten Sinne, als Anfangsstadium der Erschaffung eines
regionalen Hegemon mit enormer strategischer Macht, der in Kleinasien
liegt, aber seine politische, wirtschaftliche und militärische
Kraft rundum projiziert.« Dies hatten auch die Strategen im
Pentagon erkannt, die für einen möglichen Angriff auf den
Iran anders als im Falle des Irak auf keinen Fall auf ihren alten
Verbündeten verzichten wollen. Bei Treffen zwischen Vertretern
der USA, der Türkei und Israel im Anschluß an den
Bush–Erdogan-Gipfel wurde vereinbart, daß die türkische
Regierung im Gegenzug für geheimdienstliche Informationen über
PKK-Stellungen zum Aufbau von US-Militärstützpunkten gegen
den Iran und auch Syrien beitragen soll. Weiterhin solle Ankara von
Drohungen gegen die kurdische Regionalregierung im Nordirak
absehen.
Mit Einverständnis der kurdischen
Regionalregierung sowie logistischer Unterstützung der Türkei
entstand im vergangenen Herbst auf dem Berg Korek nahe der Kleinstadt
Diyana wenige Kilometer von der iranischen Grenze entfernt ein
Militärstützpunkt mit modernster Satelliten- und
Radartechnik, in dem israelische und US-Experten arbeiten. Ein
ähnlicher Stützpunkt der USA soll nun nahe der Stadt
Yüksekova in der südöstlichen türkischen
Bergprovinz Hakkari gebaut werden, schreibt Mehmet Yaman am 2. Januar
2008 für die Nachrichtenagentur Firat. In beiden Fällen
schadet die Präsenz der PKK den US-Interessen. Diyana liegt
direkt hinter den von der PKK kontrollierten Kandil-Bergen und
Hakkari gilt als eine Hochburg der kurdischen Befreiungsbewegung.
Mitte März verdichteten sich Hinweise darauf, daß die
Türkei neben Polen und der Tschechischen Republik zum dritten
Standbein des geplanten US-Raketenabwehrschildes in Europa werden
soll. Pentagon-Sprecher Geoff Morell bestätige entsprechende
Gespräche zwischen US-Verteidigungsminister Robert Gates und der
türkischen Regierung. Geplant ist laut Informationen der
Tageszeitung Hürriyet ein mobiles Radarsystem, das in der Lage
ist, iranische Kurz- und Mittelstreckenraketen zu erfassen. Beim
rumänischen NATO-Gipfel Anfang April wurde dann der Aufbau eines
Systems zur Abwehr von Kurzstreckenwaffen aus Ländern des Nahen
Ostens beschlossen, das neben Griechenland, Rumänien und
Bulgarien auch die Türkei umfassen soll.1
Die erste
Visite eines türkischen Staatspräsidenten im Weißen
Haus seit elf Jahren wurde am 8.Januar 2008 zu einem
Freundschaftsbesuch. Bush bekräftigte gegenüber Abdullah
Gül, daß die USA den Kampf gegen den gemeinsamen Feind PKK
fortführen werden. Wie willkommen der einstige Paria Türkei
wieder im Kreis der NATO-Verbündeten war, verdeutlicht die
Tatsache, daß der türkische Ministerpräsident Erdogan
als Ehrengast auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar
die Begrüßungsrede hielt. Darin geißelte er scharf
das seiner Meinung nach lasche Verhalten einiger europäischer
Staaten gegenüber der PKK. Selbst mit internationalem Haftbefehl
gesuchte »Terroristen« würden nicht an die Türkei
ausgeliefert, wird er bei Spiegel online am 9. Februar 2008
wiedergegeben. Erdogan nutzte die Sicherheitskonferenz, um sich für
die Ausweitung der türkischen Militäroperationen im
Nordirak weitere Unterstützung anderer NATO-Staaten zu sichern.
Dabei war er offenbar erfolgreich, denn nach weiteren
Luftangriffen erfolgte am 21. Februar eine Bodenoffensive von
mehreren tausend türkischen Soldaten in den Nordirak. Daran
waren auch US-Aufklärungsflugzeuge beteiligt. Im grenznahen
Gebiet des Zab-Flusses scheiterte das türkische Militär am
überraschend harten Winter und dem für Ankara unerwartet
heftigen Widerstand der PKK-Guerilla, der auch der Abschuß
eines Cobra-Kampfhubschraubers gelang.
Nach zaghaften
Protesten der kurdischen Regionalregierung und der irakischen
Zentralregierung wegen der Zerstörung ziviler Infrastruktur
drängte US-Verteidigungsminister Robert Gates nach einwöchigen
Kämpfen auf einen raschen Rückzug, den die türkische
Armee unmittelbar nach dieser Ermahnung antrat. Die Armeeführung
kündigte allerdings den Aufbau von elf Stützpunkten auf
irakischem Gebiet an, um Guerillakämpfer am Eindringen in die
Türkei zu hindern.
Während die PKK nach eigenen
Aussagen nur leichte Verluste hatte und mit ihrem Widerstand auch
unter irakischen Kurden einen Propagandasieg verbuchen konnte, war
die kurdische Regionalregierung der große Verlierer. Vor der
Weltöffentlichkeit hatten die USA ihren kurdischen Verbündeten
deutlich gemacht, daß deren Sicherheit allein vom Willen der
Besatzungsmacht abhängt. Die leicht bewaffneten Peshmergas der
Regionalregierung waren gegen die türkische Invasion machtlos.
Die irakischen Kurdenführer haben offenbar die Lektion
aus Washington verstanden. Nur eine Woche nach dem Rückzug der
türkischen Truppen traf der irakische »Präsident«
Talabani zu seinem ersten Staatsbesuch in Ankara ein und bot der
Türkei »strategische Beziehungen auf allen Gebieten, Öl,
Wirtschaft, Handel, Kultur und Politik« an.2 Anschließend
besuchte der kurdische Politiker das Atatürk-Mausoleum und ehrte
so denjenigen Mann, der die Zwangsassimilierung der türkischen
Kurden eingeleitet und die kurdische Sprache verboten hatte. Und
Barzani bot den USA im April an, mit seinen Peshmerga bei der
Niederschlagung eines Aufstandes der Mahdi-Armee des Schiitenführers
Muqtada Al-Sadr in Basra behilflich zu sein. Den feudalen
Stammesführern Talabani und Barzani geht es um die Sicherung
ihrer eigenen Pfründe – auf Kosten der irakischen Kurden,
die durch die fortgesetzte Kollaboration von KDP und PUK mit den
US-Besatzern in einen immer größeren Widerspruch zur
arabischen Bevölkerung des Irak und der Nachbarstaaten getrieben
werden. Kongra-Gel, der mit der PKK verbundene Volkskongreß
Kurdistan, warnt dagegen: »Die Kriegsführer in Kurdistan
haben heute die Absicht, die Kurden und die kurdische Frage als
Schlagstock gegen all diejenigen zu benutzen, die sich im Mittleren
Osten den Plänen der Großmächte entgegenstellen. Weil
wir uns diesen Plänen der Großmächte nicht
unterwerfen, sind wir in Deutschland verboten und werden in den USA
und in der EU als terroristisch gebrandmarkt. Wir werden als die
›ungehorsamen und bösen‹ Kurden überall
verfolgt.«3
Während die türkische Armee,
unterstützt von der amerikanischen und israelischen Aufklärung,
militärisch gegen die PKK im Nordirak vorgeht, nehmen die USA
auch die zivile Infrastruktur der PKK in Europa ins Visier. Der
Direktor der Antiterrorabteilung im US-Außenministerium, Frank
C. Urbancic Jr., versprach im Februar in Ankara laut der Tageszeitung
Hürriyet vom 13. Februar 2008, daß die USA als »Brücke,
Übersetzer und Beschleuniger« des »türkischen
Schmerzes« gegenüber den europäischen Staaten wirken
werden.
So soll der in Dänemark lizensierte und aus einem
Studio bei Brüssel übertragende Satellitensender RojTV
dichtgemacht werden. RojTV erreicht mit seinen Programmen in
türkischer, kurdischer, arabischer und persischer Sprache
Millionen Zuschauer in Europa und im Nahen Osten und dient als
wichtigstes Sprachrohr der kurdischen Freiheitsbewegung. Da die
dänische Regierung einen Lizenzentzug für RojTV ablehnt,
kündigte Urbancic eine Al-Capone-Taktik gegen die angebliche
»Speerspitze des Terrorismus« an – in Anspielung
auf den berühmten Gangster, der 1931 wegen Steuerhinterziehung
ins Gefängnis kam: Am 18. Februar durchsuchten Beamte des
belgischen Finanzministeriums die Studios von RojTV in Denderleeuw.
Der Sender wurde wegen einer angeblichen Steuerschuld seines 1999 auf
türkischen Druck hin geschlossenen Vorgängers Med-TV zur
Zahlung von vier Millionen Euro verurteilt. Noch sendet RojTV
weiter.
Weiteres Ziel der USA ist es, die Finanzquellen der
PKK in Europa zu verstopfen, da die unter der kurdischen Migration
gesammelten Gelder eine der wichtigsten Einnahmequellen der
Befreiungsbewegung darstellen. Hier scheint Druck auf die deutsche
Justiz erfolgt zu sein. Denn erstmals ermitteln Staatsanwaltschaften
wegen Spendensammelns mit dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen
Vereinigung nach Paragraph 129 StGB gegen Vorstandsmitglieder
kurdischer Kulturvereine. In den Niederlanden und Deutschland kam es
in den letzten Wochen zu Razzien bei kurdischen Institutionen.
Weiterhin hatte US-Justizminister Michael Mukasey seinem türkischen
Amtskollegen zugesagt, sich für eine Auslieferung per Interpol
gesuchter PKK-Aktivisten aus Europa an die Türkei einzusetzen.
Kurdische Politiker befinden sich unter anderem in Deutschland und
Frankreich in Auslieferungshaft.
»Die aktuelle
europäische Kooperation mit der Türkei gegen die PKK ist
ermutigend und verdient Beifall«, schrieb der türkische
Counterterrorismus-Experte Oberstleutnant Abdulkadir Onay am 11.
April in einer Analyse für den pentagonnahen Think Tank »The
Washington Institute for Near East Policy«. »Die
Bereitschaft zur Bekämpfung der PKK sollte als Lackmustest für
die Verpflichtung dieser Länder dienen, den Krieg gegen den
Terrorismus zu führen und ihre Verantwortung innerhalb der NATO
zu erfüllen – einer weiteren internationalen Organisation,
die die PKK als terroristische Gruppe einstuft.«4 Die aktuelle
grenzüberschreitende Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung
ist damit tatsächlich auf eine von den USA geführte
NATO-Strategie zurückzuführen, deren wirkliches Ziel Iran
heißt. Die Kurden sind dabei einmal mehr ein Bauernopfer.
1
Vgl. jW v. 15. März 2008; Netzeitung v. 3. April 2008
2
Neue Zürcher Zeitung v. 8. März 2008
3 Grußwort
des Kongra-Gel zur Demonstration des Kurdistan-Solidaritätskomitees
Berlin v. 26. Januar 2008
4 Abdulkadir Onay: Divergent
European Approaches to Combating PKK Terrorism, Washington Institute
Policy Watch, No. 1 362, 11. April 2008