junge Welt vom 03.12.2005

 

Wochenendbeilage

Revolutionärer Zusammenschluß

Vor 85 Jahren entstand durch die Vereinigung der KPD (Spartakusbund) mit dem linken Flügel der USPD erstmals eine kommunistische Massenpartei in Deutschland

Nick Brauns

 

»Wenn ich meinem Herzen nachginge, wäre ich schon längst in den Spartakusbund eingetreten. Aber jede Übertrittsbewegung einzelner ist schädlich«, schrieb der Vorsitzende der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) in Hamburg, Ernst Thälmann, Ende 1919 an einen Genossen. Und weiter: »Es kommt jetzt darauf an, die Kommunistische Partei zu einer Massenpartei zu machen. Dies ist aber nur dann in kürzester Frist möglich, wenn sich der entscheidende Teil der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei mit der Kommunistischen Partei vereinigt. Diese Vereinigung anzustreben und diesem Ziel alles unterzuordnen ist unsere revolutionäre Aufgabe.« So wie Thälmann dachten viele Arbeiter auf dem linken Flügel der USPD. Gegenüber dieser Arbeitermassenpartei mit 900000 Mitgliedern stellten die 90000 Mitglieder der KPD (Spartakusbund) kaum mehr als eine verbalradikale Propagandatruppe da.

Die Weigerung der Ultralinken in der KPD, an Parlamentswahlen teilzunehmen und innerhalb reformistischer Gewerkschaften um Einfluß zu kämpfen, hatte ein großes Hindernis für die Gewinnung der USPD-Arbeiterbasis gebildet. Doch nach dem Heidelberger Parteitag im Oktober 1919 spalteten sich die Ultralinken mit rund der Hälfe aller Parteimitglieder von der KPD ab und gründeten im April 1920 die Kommunistische Arbeiterpartei. Gleichzeitig kamen sich in gemeinsamen Kämpfen – wie bei der Niederschlagung des Kapp-Putsches im März 1920 – die KPD und der linke Flügel der USPD näher. Erstmals beteiligte sich die KPD im Juli 1920 an Reichstagswahlen. Auch wenn ihr Ergebnis mit nur 2,1 Prozent gegenüber 17,9 Prozent für die USPD mager blieb, war dies in den Augen vieler USPD-Anhänger ein Zeichen für eine Wende der KPD zu revolutionärer Realpolitik.

Auf einem außerordentlichen Parteitag im Oktober 1920 in Halle debattierten die Delegierten der USPD die Annahme der 21 Bedingungen für einen Beitritt zur Kommunistischen Internationale. So forderte die Komintern von ihren Mitgliedsparteien nicht nur die Akzeptanz des marxistischen Programms in der Theorie, sondern auch die Unterwerfung unter ihre Beschlüsse in der Praxis und den absoluten Bruch mit Reformisten und schwankenden »Zentristen« in den eigenen Reihen. Nach einer vierstündigen, auf deutsch gehaltenen Rede des Komintern-Vorsitzenden Grigori Sinowjew und Gegenreden von Rudolf Hilferding und dem russischen Menschewiken-Führer Julius Martow stimmten die Delegierten mit 237 gegen 156 Stimmen für den sofortigen Anschluß an die Komintern und damit die Vereinigung mit der KPD.

Der Zusammenschluß der KPD mit rund 300000 Mitgliedern der USPD-Linken erfolgte auf einem Vereinigungsparteitag in Berlin vom 4. bis 7. Dezember 1920. Der große Versammlungssaal im Lehrervereinsbau am Alexanderplatz war kunstvoll mit roten Fahnen und Bildern von Lenin, Trotzki, Liebknecht, Luxemburg und Sinowjew ausgeschmückt. Kommunistischer Saalschutz sicherte die Eingänge.

Von 485 Delegierten gehörten nur 136 der KPD an. Doch mit ihrer größeren Klarheit in theoretischen Fragen stellte die KPD fünf von sieben Referenten. Paul Levi und Ernst Däumig sprachen über das Aktionsprogramm, August Thalheimer über das Agrarprogramm, Wilhelm Koenen über die Parteiorganisation, Fritz Heckert über die Arbeitslosenfrage, Heinrich Brandler über Gewerkschaftsarbeit und Clara Zetkin über die Frauenfrage.

»Auf dem Vereinigungsparteitag waren die linken Unabhängigen Sozialdemokraten in ihren Reden weit radikaler als die Kommunisten, und sie legten auch mehr Gewicht auf Organisationsfragen«, schilderte Parteitagsteilnehmer Karl Retzlaw. »Das Mitglied des Zentralkomitees der Unabhängigen Sozialdemokraten Wilhelm Koenen forderte sogar, daß das Organisationsbüro Vorrang vor dem politischen Büro haben müsse. Das war der erste Vorstoß der ›Kartothekowitsche‹ in der Partei.«

Nahezu einstimmig wurden ein Agrarprogramm, Leitsätze für die Frauen-, Jugend-, und Gewerkschaftsarbeit sowie ein Manifest an das deutsche und internationale Proletariat abgestimmt, in dem die Sozialisierung der Großindustrie, Teilnahme an Parlamentswahlen und die aktive Mitarbeit in den Gewerkschaften gefordert wurde. Der Parteitag beschloß auch, daß die Funktionäre keiner Religionsgemeinschaft angehören dürfen.

Die Zentrale wurde paritätisch mit früheren Unabhängigen und KPD-Mitgliedern besetzt. Vorsitzende wurden Däumig und Levi, Sekretäre Zetkin, Koenen, Brandler, Otto Brass, Walter Stoecker, Wilhelm Pieck und Hermann Remmele, Beisitzer Thalheimer, Heckert, Adolf Hoffmann, Curt Geyer und Otto Gäbel.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Arbeiterbewegung hatte in einem industriell hochentwickelten Land der gemeinsame Kampf zweier Arbeiterparteien zur Vereinigung auf revolutionärer Grundlage geführt. Die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD) bildete mit bis zu 350000 Mitgliedern in fast 2500 Ortsgruppen, Dutzenden von Zeitungen, zahlreichen Gewerkschaftspositionen und mehreren Parlamentsfraktionen die stärkste Sektion der Komintern außerhalb der Sowjetunion. Ihre Zentren besaß die Partei in den Großstädten und Industrierevieren in Nord-, West- und Mitteldeutschland.

Um ihren gewachsenen Einfluß zu nutzen und die Mehrheit der Arbeiterklasse im Rahmen der Einheitsfronttaktik für eine revolutionäre Politik zu gewinnen, schlug die Zentrale der VKPD am 7. Januar 1921 in einem offenen Brief an die anderen Arbeiterparteien SPD, USPD und KAPD sowie die Gewerkschaften den Kampf um ein gemeinsames Minimalprogramm vor. Dessen wichtigste Teilforderungen waren: Anpassung der Löhne an die Inflation, Bildung eines proletarischen Selbstschutzes, Aufnahme der Beziehungen zu Sowjetrußland, Produktionskontrolle durch die Betriebsräte.

Quellentext: Aus dem »Manifest an das deutsche und internationale Proletariat«

Die Kommunistische Partei Deutschlands und die linke Mehrheit der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands haben sich zu einer Partei verschmolzen: der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands. Die deutsche Sektion der Kommunistischen Internationale wird von nun an von einer kompakten Massenpartei vertreten, die imstande sein wird, nicht nur die Ideen des Kommunismus zu vertreten, sondern zum Kampfe für sie die Arbeitermassen aufzubieten. (...)

Jeder Teilsieg, der den Massen auch für einen Augenblick Linderung verschafft – und für länger verschafft er sie ihnen nicht –, wird zu neuen Kämpfen anfeuern. Und jede Niederlage wird sie lehren, daß es keine Rettung aus der Not gibt, bevor der Leichnam des Kapitalismus nicht weggeräumt wird und der schöpferischen Arbeit der befreiten Arbeitermassen Platz macht. Nicht durch Predigten von der Unmöglichkeit der Hebung der Lage der Arbeitermassen unter der Herrschaft des Kapitalismus, sondern durch die energische, warme, rückhaltlose Unterstützung der Teilkämpfe der Arbeitermassen werden wir ihnen beibringen, daß es sich nicht um Reformen, sondern um Revolution handelt. (...)

In all den Kampfsituationen, die wir herbeiführen oder die kommen werden, gilt es zu verstehen, daß sich jede zum Kampf um die Macht auswachsen kann. Das enthebt die VKPD nicht der Pflicht, in jeder Situation zu prüfen, wie weit wir unsere Linien vorrücken können, aber die Pflicht der Kommunisten ist es gleichzeitig, daß, selbst wo sie in Teilkämpfe eintreten, sie ihr Auge aufs Ganze richten müssen, weil jeder Teilkampf bei dem vulkanischen Boden, den jetzt Europa überhaupt und Deutschland im besonderen darstellt, in den Kampf ums Ganze umschlagen kann. Niemals war die Kommunistische Partei die Partei des Putsches, des Drängens nach dem Losschlagen, wenn die Situation nicht dazu reif war, obwohl sie vor Heidelberg von unmarxistischen, putschistischen Elementen nicht frei war. Aber immer war sie eine Partei der Revolution. Klein, ohne Einfluß auf die breiteren Arbeitermassen, hat sie für die Idee der Revolution gekämpft. Jetzt groß, sich auf breite Massen stützend, wird sie für die Revolution kämpfen. Sie kann nichts anderes tun, denn die Zeit des Sieges der Revolution naht.

* angenommen auf dem Vereinigungsparteitag der USPD (Linke) und der KPD in Berlin am 7. Dezember 1920

(zit.n. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hg.), Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd.3, Berlin 1966, 607 ff.)

 

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Ausdruck erstellt am 04.12.2005 um 23:03:43 Uhr

 

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