Das Ende der Linken Opposition in der Sowjetunion

Der Ausschluss von Trotzki und Sinowjew aus der KPdSU

 

Genau 10 Jahre nach dem Sieg der Oktoberrevolution kam es im Vorfeld des 15.Parteitages der KPdSU zu einer dramatischen Zuspitzung des innerparteilichen Linienkampfes.

Die Vereinigte Linke Opposition um Leo Trotzki und Gregorij Sinowjew hatte in einer von 13 Mitgliedern des Zentralkomitees und der Zentralen Kontrollkommission vorgelegten Plattform die Politik von Stalin und Bucharin einer vernichtenden Kritik unterzogen. „Nach den beiden Jahren, in denen Stalins Gruppe die Politik der zentralen Institutionen der Partei faktisch bestimmt hat, ist eindeutig bewiesen, dass die Politik dieser Gruppe weder ein übermäßiges Wachstum derjenigen Kräfte, die die Entwicklung unseres Landes auf den kapitalistischen Weg lenken wollen, noch eine Schwächung der Arbeiterklasse und der ärmsten Bauern gegenüber der wachsenden Macht der Kulaken, des Nepmanns und des Bürokraten, noch eine Verschlechterung der Situation des Arbeiterstaates im Kampf mit dem Weltkapitalismus und eine Verschlechterung der internationalen Lage der UdSSR verhindern konnte.“ Die Opposition warnte vor einem Wiedererstarken kapitalistischer Tendenzen durch eine Oberschicht von Großbauern, die sich auf 25 Millionen Kleinwirtschaften stützte. Im Dorf müsse sich die Partei an der Spitze der Landarbeiter, armen Bauern und Mittelbauern stellen und sie gegen die ausbeuterischen Tendenzen der Kulaken verteidigen. Kollektivierungen auf freiwilliger Grundlage müssten systematisch von Staat gefördert werden. Die Hauptbedingung für eine sozialistische Entwicklung sei aber eine rasche und planmäßige Industrialisierung, der sich Stalin und Bucharin aufgrund ihrer Politik, den Sozialismus gestützt auf die Bauernschaft „im Schneckentempo“ zu erreichen, bislang widersetzt hatten.

In Hinblick auf die Partei beklagte die Opposition ein Absterben der innerparteilichen Demokratie, dass im Staat zu einem Absterben der Arbeiterdemokratie überhaupt geführt habe. „In letzter Zeit waschen in der Partei nicht nur Karrierismus, Bürokratismus und Ungleichheit, vielmehr machen sich auch direkt klassenfremde, feindliche und schmutzige Strömungen in ihr geltend – beispielsweise der Antisemitismus.“

 

Tatsächlich war die Bürokratisierung des Partei- und Staatsapparates in der Sowjetunion schon so weit fortgeschritten, dass die Opposition keine Möglichkeit fand, ihre alternative Plattform legal zur Diskussion zu stellen. Der Text musste geheim gedruckt und unter der Hand weiterverbreitet werden. Da eine offene Debatte innerhalb der Parteistrukturen nicht mehr möglich war, organisierte die Opposition eine Reihe von Treffen die zumeist in völlig überfüllten Privatwohnungen stattfanden. In Moskau besetzten einige Tausend Oppositionelle kurzerhand ein Schulgebäude um den Oppositionsführer ein Podium zu bieten.

 

Während einer Massendemonstration anlässlich der Tagung des Zentralexekutivkomitees in Leningrad wurden Trotzki und Sinowjew, die den Aufmarsch nur am Rande beobachten wollten, von Milizsoldaten auf die offizielle Tribüne gedrängt. Tausende Demonstranten begrüßten begeistert die beiden Oppositionsführer, während sie teilnahmslos an den offiziellen Würdenträgern der Kundgebung vorbei schritten.

 

Durch diese spontane Sympathiebekundung der Leningrader Arbeiterschaft ermutigt beschloss die Opposition, den 10. Jahrestag der Oktoberrevolution am 7.November zu nutzen, um direkt an die Bevölkerung zu appellieren. Mit eigenen Losungen, die entgegen der Verleumdungen durch die Parteibürokratie das Bekenntnis der Linksopposition zur KPdSU ausdrücken sollten, mischten Hunderte Oppositionsanhänger unter die offiziellen Demonstrationen.

Die Parolen auf Plakaten lauteten: „Wir wollen das Feuer gegen rechts richten – gegen den Kulaken, NEP-Mann und Bürokraten“, „Wir wollen das Testament Lenins erfüllen“ und „Gegen Opportunismus, gegen Spaltung, für die Einheit der Leninschen Partei.“

Der Auftritt der Opposition endete in einem Desaster. Milizsoldaten rissen den Oppositionellen die Plakate aus den Händen und zerfetzten sie. Zu Hilfe kamen ihnen – so Trotzki in seiner Autobiographie – „teils sogar offen faschistische Elemente der Moskauer Straße“. Betrunkene grölten während ihrer physischen Übergriffe auf Anhänger der Opposition antisemitische Parolen im Stile der Schwarzhunderter. In Moskau wurden Schüsse auf Trotzkis Fahrzeug abgegeben und in Leningrad nahm eine Sonderabteilung der Polizei Sinowjew und Radek angeblich zu ihrer eigenen Sicherheit vorübergehend fest.

 

Das Zentralkomitee erließ umgehend die Anweisung, „Oppositionelle, die in nichtparteilichen Versammlungen gegen die Politik der Partei auftreten, sofort auszuschließen. ... Von der Opposition einberufene illegale Versammlungen ... sind mit der ganzen Kraft der Partei und der Arbeiterklasse aufzulösen.“

Mit ihren Aktionen zum Jahrestag der Revolution habe die Opposition „die Schranken der sowjetischen Gesetzlichkeit überschritten“ und würde damit zum offenen Sprachrohr jener Kräfte, „die dem Regime der proletarischen Diktatur feindlich gegenüberstehen“, erklärte die Zentrale Kontrollkommission, vor die Sinowjew und Trotzki geladen wurden. Da die beiden Oppositionsführer nicht von ihrer Haltung abwichen, beschloss die Kontrollkommission am 15. November ihren Ausschluss aus der KPdSU und die Absetzung aller anderen prominenten Oppositionellen wie Kamenew und Rakowski aus den führenden Parteigremien.

 

Dem Räumungsbefehl für seine Wohnung im Kreml war Trotzki schon am Abend des 7. Oktober durch seinen freiwilligen Umzug in die Wohnung seines Freundes Alexander Beloborodow, der formell noch Kommissar für Volkskommissar für das Innere war, zuvorgekommen. Aller Parteiämter beraubt verdiente Trotzki sich seinen Lebensunterhalt nun mit Übersetzungen und Korrekturarbeiten für das Marx-Engels-Institut. Unter anderem übersetzte er Marx Schrift „Herr Vogt“.

 

Einen Tag nach dem Parteiausschluss der Oppositionsführer nahm sich Trotzkis langjähriger Freund und Genosse Adolf Abramowitsch Joffe in Moskau das Leben. Der ehemalige Vorsitzende des Petrograder Militärischen Revolutionskomitees während der Oktoberrevolution und spätere Sowjetdiplomat hatte dem Druck der scharfen Auseinandersetzungen und den persönlichen Verleumdungen durch die Bürokratie nicht mehr stand gehalten. Obwohl seine Beerdigung auf dem Moskauer Nowodwitschi-Friedhof an einem normalen Werktat stattfand versammelten sich bis zu 10.000 Trauernde an seinem Grab. Es war die letzte öffentliche Versammlung der Linken Opposition in der Sowjetunion auf der Trotzki zugleich seine letzte politische Rede auf russischem Boden hielt. „Schritte wie der, eigenmächtig aus dem Leben zu gehen, wirken ansteckend“, warnte Trotzki, „aber niemand hat das Recht, sich den Tod des alten Kämpfers zum Beispiel zu nehmen! Nehmt Euch sein leben zum Beispiel. ... Er stand unter dem Banner von Marx und Lenin, und unter diesem Banner ist er gestorben. Wir geloben Dir, Adolf Abramowitsch, dass wir Dein Banner bis an unser Ende tragen werden!“

 

Der 15. Parteitag der KPdSU vom 2. bis 19. Dezember bestätigte die Parteiausschlüsse von Sinowjew und Trotzki. Sinowjew, Kamenew und ihre Anhänger hatten sich zuvor von der Opposition losgesagt und ihre vollständige ideologische und organisatorische Unterwerfung unter die Führung der KPdSU erklärt.

 

Trotzki und seine Frau Natalia Sedowa wurden nach Alma-Ata an der Grenze des chinesischen Turkestan verbannt. Mit dem 15.Parteitag hatte die Linke Opposition in der Sowjetunion aufgehört, in organisierter Form zu existieren. Der Kampf der Bolschewiki-Leninisten, wie sich die Linksoppositionellen nun nannten, zur Rückeroberung der Kommunistischen Parteien verlagerte sich nun auf die ganze Welt.

 

Nick Brauns