Theater als Waffe

Erstmals liegt eine wissenschaftliche Untersuchung über das kurdische Theater vor

 

„Ich trage Waffen, aber ich kämpfe mit dem Theater, weil ich mit dem Theater einen grausamen, unmenschlichen Gedanken ändern kann. Und dadurch gewinne ich einen Menschen, statt ihn zu verlieren.“ Diese Aussage des kurdischen Regisseurs und Freiheitskämpfers Abu Ajo ist einer Publikation über das „Theater als Form des Widerstands in Kurdistan“ vorangestellt, die jetzt vom Internationalen Kulturwerk veröffentlicht wurde.

 

Erstmals liegt mit der als Abschlussarbeit am Institut für Theaterwissenschaften der Universität München entstandenen Untersuchung des irakischen Kurden Hawre Zangana eine wissenschaftliche Studie zur Thematik des kurdischen Theaters vor. Der in München lebende Autor, Schauspieler und Regisseur Zangana sammelte erste Erfahrungen mit dem Theater bei den kurdischen Partisanen in Sharbazher. So bildet das kurdische Theater Irak auch einen Schwerpunkt des Buches, während die Situation in der Türkei, Syrien und dem Iran nur angerissen wird.

 

Auf abenteuerliche Weise gestaltete sich die Materialsammlung. Aufgrund des doppelten Embargos über Irakisch-Kurdistan – durch die UNO und die irakische Zentralregierung – mussten Photos, Videoaufnahmen und Interviewtexte regelrecht aus dem Land geschmuggelt werden. Da die kurdischen Theateraufführungen oft von grenzüberschreitend tätigen marxistischen oder nationalen Widerstandsgruppen organisiert wurden, hatten nicht nur die irakischen Behörden, sondern auch die Geheimdienste der Nachbarstaaten Türkei, Iran und Syrien Interesse an derartigem Material. Und für kurdische Exilanten in Europa waren die seltenen Photos von ihrer Schauspieltätigkeit häufig die einzige Erinnerung an ihre Heimat, die sie nicht aus der Hand geben wollten.

 

Das Theater begleitet das Leben der irakischen Kurden nicht nur in den Städten und Dörfern, sondern auch auf der Flucht und im bewaffneten Widerstand. Seine eigenen Erfahrungen fließen ein, wenn der Autor die Schwierigkeiten des Guerillatheaters beschreibt. Als Bühne diente den Partisanen eine Garage, ein Erdhaufen oder ein Berghang. Teestubenbesitzer stellten ihre Stühle für das Publikum zur Verfügung und mancher verfolgte das Schauspiel vom Rücken eines Esels aus. Auch während der Aufführung mussten die Waffen bereit liegen, da jederzeit ein Angriff drohen konnte. Und mancher Guerillakommandant sah beim Theater die Politik oder militärische Ausbildung zu kurz kommen. Dabei war es gerade mit dem Theater möglich, die ganze Bevölkerung zu erreichen, während bei politischen Vorträgen in der Regel nur die erwachsenen Männer eines Ortes erschienen.

 

Zensur und Verfolgung durch die Baath-Partei, die alle Aufführungen auf dem von der Bagdader Zentralregierung kontrollierten Gebiet überwacht, zwang die Schauspieler zu neuen Formen der Darstellung. Jeder mimische oder gestische Ausdruck der Schauspieler signalisierte eine nonverbale Botschaft, die durch den engen Kontakt zum Publikum vermittelt wurde. Um nicht vor den obligatorischen Bildern Saddam Husseins, die auf allen öffentlichen Bühnen im Irak hängen, auf zu treten, wurden manche Aufführungen mitten in den Zuschauerraum verlegt.

 

Die Kritik an der feudalen Gesellschaftsordnung, den Großgrundbesitzern und islamischen Mullahs ist ebenso ein Element des kurdischen Theaters wie die Darstellung der nationalen Unterdrückung und des Widerstands. Neben reinen Agitprop-Stücken, die bei Parteitagen der Widerstandsorganisationen zur Aufführung kamen, haben die Theaterregisseure vor allem ausländische Stücke etwa von Puschkin, Brecht oder Nazim Hikmet sowie Themen der kurdischen Mythologie aufgegriffen. Dabei können auch traditionelle Stücke, wie das an Romeo und Julia erinnernde Liebesdrama Khaij und Siamand politische Bedeutung erlangen. So stellt der Regisseur Talat Saman in der Aufführung von Khaj und Siamand eine für das Publikum verständliche Analogie her zwischen den Liebenden, die lieber auf den Berge sterben, als sich zu trennen, und den Partisanen, die eben dort für ihre Freiheitsliebe das Leben lassen.

 

Ausführlich geht Zangana auf die Geschlechterproblematik im kurdischen Theater ein. Da Schauspielerei kein angesehener Beruf war, untersagten viele Familien den Frauen diesen Beruf. Häufig mussten Männer auch die weiblichen Rollen besetzten und sich selber damit der Feindschaft der machistisch geprägten Gesellschaft aussetzten. So wurden männliche Schauspieler mit Dreck und Steinen beworfen, weil sie in Frauenkleidern auftraten. Doch ausgehend vom experimentellen Theater der 70er Jahre hat ein Wandel stattgefunden und Frauen schlüpfen heute sogar in Männerrollen. Der im Theater manifestierte Widerstand richtet sich somit auch unmittelbar gegen die patriarchale Geschlechterordnung der kurdischen und arabischen Gesellschaft.

 

 „Theater machen in einer unterdrückten Gesellschaft hinterlässt nicht nur tiefe Spuren in der Psyche der Theaterschaffenden, es hat auch eine enorme politische Bedeutung: Das Theater wird zu einem Akt der Solidarität, einem Ausdruck der eigenen Identität und einem ort für Freude und Trauer“, umreißt Zangana die Funktion des Theaters als „Form des Widerstands“ nicht nur in Kurdistan.

 

Eine Vielzahl von Tippfehlern sollten bei einer möglichen Zweitauflage dieses farbig bebilderten Buches ausgebessert werden. Auch ist zu hoffen, dass nach diesem Pionierwerk bald auch Untersuchungen über das Theater in den anderen Teilen Kurdistans und unter der kurdischen Migration in Europa erstellt werden.

 

Nick Brauns

 

Hawre Zangana: Theater als Form des Widerstands in Kurdistan. Internationales Kulturwerk Hildesheim 2002.

ISBN 3-936126-14-3, ca. 200 Seiten, Hardcover, farbig bebildert, Preis 16 €