Aus: junge Welt vom 27.09.2017, Seite 15 / Antifa

Patriot und Internationalist

Das Andenken des im KZ ermordeten Kommunisten Ernst Thälmann, und was die AfD veranlasst, seinen Namen zu missbrauchen

Von Nick Brauns

»Ernst Thälmann würde AfD wählen«, warb die deutschnationale »Alternative für Deutschland« auf Wahlplakaten in Sachsen-Anhalt mit dem Bild des 1944 im Konzentrationslager Buchenwald ermordeten Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Die AfD in Oldenburg/Ammerland ging auf ihrer Facebook-Seite noch weiter und behauptete: »Ernst Thälmann wäre heute Mitglied der AfD«. Der Vorstand des Kuratoriums Gedenkstätte Ernst Thälmann e. V. Hamburg sprach von einer nicht zu übertreffenden »Infamie, Beleidigung und Verunglimpfung« des Arbeiterführers. Seine Enkelin erstattete Strafanzeige gegen die AfD-Verantwortlichen (siehe jW vom 23./24. September).

Es ist nicht das erste Mal, dass sich eine rechte Truppe des Thälmann-Mythos bedient. Auch der 2008 aufgelöste neofaschistische »Kampfbund deutscher Sozialisten« (KDS) um Michael Koth berief sich auf Thälmann. Das Werben des KDS für eine Querfront mit radikalen Linken für einen »deutschen Sozialismus« auf »Basis des Bekenntnisses zu Volk und Heimat« blieb erfolglos. Da sich der führende KDS-Aktivist J. H. zudem als V-Mann des Verfassungsschutzes entpuppte, steht der Verdacht im Raum, dass der Geheimdienst über die nationalbolschewistische Sekte sein unwissenschaftliches Extremismuskonstrukt belegen wollte.

Hinter dem Thälmann-Missbrauch durch die AfD steckten wohl andere Absichten. Die Partei machte sich im Wahlkampf die Tatsache zunutze, dass sich viele Ex-DDR-Bürger ein positives Bild des volkstümlichen Politikers bewahrt haben. Die Initiative zu den Thälmann-Plakaten geht auf den sachsen-anhaltinischen Bundestagskandidaten Daniel Schneider, Vorstandsmitglied der völkischen »Patriotischen Plattform« innerhalb der Partei, zurück. Bereits im Januar war auf einer vom Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke initiierten Demonstration in Erfurt ein AfD-Transparent mit dem Thälmann-Zitat »Mein Volk, dem ich angehöre und das ich liebe, ist das deutsche Volk, und meine Nation, die ich mit großem Stolz verehre, ist die deutsche Nation« zu sehen. Dieses Zitat ist es, das es Neonazis und Völkischen ermöglicht, »Teddy« als einen der ihren zu verkaufen. Es stammt aus einem Brief Thälmanns an einen Bautzener »Kerkergenossen« vom Januar 1944. Im Irrglauben, es mit einem jungen Genossen zu tun zu haben, hatte Thälmann dem kurz vor der Haftentlassung stehenden Raubmörder Hans-Joachim Lehmann, zuvor Mitglied der Hitlerjugend, ein Kassiber zukommen lassen. Vermutlich wurde Lehmann, der sich in seinen Briefen Thälmann gegenüber als »Revolutionär« ausgab, um dessen Vertrauen zu erschleichen, von der Gestapo als Spitzel eingesetzt. So wollte sie Thälmanns Kontaktpersonen zu antifaschistischen Widerstandsgruppen außerhalb des Gefängnisses aufspüren.

In der DDR wurde der 24seitige Brief nur in einer stark gekürzten Fassung als Thälmanns Vermächtnis veröffentlicht. Im Anschluss an die nicht nur von der AfD, sondern auch auf unzähligen Gedenktafeln zitierten Zeilen heißt es darin in pathetischer Sprache: »Ich bin Blut vom Blute und Fleisch vom Fleische der deutschen Arbeiter und bin deshalb als ihr revolutionäres Kind später ihr revolutionärer Führer geworden. Mein Leben und Wirken kannte und kennt nur eines: Für das schaffende deutsche Volk meinen Geist und mein Wissen, meine Erfahrungen und Tatkraft, ja mein Ganzes, die Persönlichkeit zum Bestehen der deutschen Zukunft für den siegreichen sozialistischen Freiheitskampf im neuen Völkerfrühling der deutschen Nation einzusetzen.«

Der Hamburger Hafenarbeiter Thälmann, der mit Rückendeckung des Kreml an die Spitze der KPD gelangte und auch nach elf Jahren Haft seine antifaschistische Gesinnung und seinen Glauben an den Sozialismus bewahrt hatte, war zweifelsohne ein heimatverbundener Patriot. Doch Thälmann war auch ein proletarischer Internationalist, der die Sowjetunion verteidigte, für das Leben der in den USA zum Tode verurteilten Anarchisten Sacco und Vanzetti kämpfte und aktive Solidarität mit der chinesischen Revolution zeigte. Auch die vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED zensierte, aber vielzitierte Fassung des »Briefes an einen Kerkergenossen« erlaubt es nicht, aus dem Kommunisten und Antifaschisten Thälmann einen deutschnationalen Antikommunisten zu machen.