Junge Welt 13.12.2008 / Geschichte / Seite 15

Agenda der Revolution

Vor 90 Jahren wurde das von Rosa Luxemburg verfaßte Programm des Spartakusbundes veröffentlicht

Von Nick Brauns

»Sozialismus oder Untergang in der Barbarei!« – diese Alternative stand im Mittelpunkt des am 14. Dezember 1918 in der Roten Fahne veröffentlichten Programms des Spartakusbundes aus der Feder von Rosa Luxemburg. In den vorangegangenen Wochen hatte der Reichsleiter der kurz nach Ausbruch der Novemberrevolution gebildeten Zentrale des Spartakusbundes, Leo Jogiches, damit begonnen, die auf dem äußersten linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) stehenden Zirkel von einigen tausend marxistischen Revolutionären organisatorisch zusammenzufassen.

Der Spartakusbund trat für einen Austritt der USPD-Volksbeauftragten aus der provisorischen Reichsregierung unter dem rechten Mehrheitssozialdemokraten Friedrich Ebert ein, der einen Pakt mit den kaiserlichen Generälen zur Niederschlagung der sozialistischen Revolution geschlossen hatte. Dabei wußte sich der Spartakusbund mit großen Teilen der USPD-Basis und insbesondere mit den in Großbetrieben verankerten Revolutionären Obleuten einig. Doch hartnäckig widersetzten sich die USPD-Führer allen Forderungen nach einem klärenden Parteitag, auf dem sie eine Niederlage in der Frage der Regierungsbeteiligung befürchteten.

Die Alternative laute »Fortdauer des Kapitalismus, neue Kriege und baldigster Untergang im Chaos und in der Anarchie, oder Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung«, heißt es im Programm des Spartakusbundes. Von der Spitze des Staates bis zur kleinsten Gemeinde müsse die proletarische Masse die Parlamente als Organe der bürgerlichen Klassenherrschaft durch Arbeiter- und Soldatenräte ersetzen. »Eine solche Ausrüstung der kompakten arbeitenden Volksmasse mit der ganzen politischen Macht für die Aufgaben der Revolu­tion, das ist die Diktatur des Proletariats und deshalb die wahre Demokratie.« An die Stelle der Lohnarbeit habe die genossenschaftliche Arbeit zu treten, und hierfür müßten alle Banken, Bergwerke und Großbetriebe enteignet und der Kontrolle von Betriebs- und Arbeiterräten unterstellt werden.

Kein Terror

Zwar warnte Luxemburg, der Kampf um den Sozialismus sei »der gewaltigste Bürgerkrieg, den die Weltgeschichte gesehen« habe, doch sie stellte zugleich klar, der Spartakusbund werde »nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren, unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in ganz Deutschland«. Dies war eine klare Absage an Putschismus, Abenteurertum und jede Art von Stellvertreterpolitik –ganz im Sinne von Karl Marx' Erkenntnis, daß »die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter sein« könne. Damit reagierte Luxemburg auf die revolutionäre Ungeduld vieler ungeschulter jugendlicher Spartakusanhänger. Es war zugleich eine Antwort auf die zunehmende Mordhetze der bürgerlichen Presse, die vor einem »Spartakistenputsch« warnte und die Spartakisten als blutgierige Bestien hinstellte.

»Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors; sie haßt und verabscheut den Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmittel nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutionen bekämpft«, schrieb Luxemburg in das Programm. Illusionen, daß die Kapitalisten freiwillig auf ihre Privilegien verzichten würden, hatte sie freilich keine. Da die Gewalt der bürgerlichen Gegenrevolution »mit eiserner Faust« gebrochen werden müsse, forderte sie die Bildung von bewaffneten Arbeitermilizen.

Die Frage »Rätesystem oder Parlamentarismus« stand im Mittelpunkt des vom 16. bis 20. Dezember in Berlin tagenden 1. Allgemeinen Kongresses der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands. Der Spartakusbund und die Revolutionären Obleute begrüßten den Kongreß mit einer großen Demonstration. Doch »die schönste Blüte an dem sich entfaltenden Baume der Revolution«, wie Rosa Luxemburg die Versammlung nannte, entpuppte sich als fauler Apfel.

Der Kongreß »personifizierte die Parteinahme der Massen in den ersten Revolutionstagen, aber nicht einmal die hochherzigen Illusionen der ersten Stunde«, schrieb der KPD-Mitbegründer und Luxemburg-Biograph Paul Fröhlich. »Der Kongreß vertrat die Vergangenheit, nicht die Gegenwart, die zurückgebliebenen Klein- und Mittelstädte, nicht die Großstädte und wichtigen Industriegebiete. Seinem politischen Charakter nach war er ein Oberhaus, nicht eine Volksvertretung der Arbeiterklasse. Von 489 Delegierten waren 288 Sozialdemokraten, 80 Unabhängige und nur 10 Spartakusanhänger. Die soziale Wirklichkeit draußen war anders.«

Weder Karl Liebknecht noch Rosa Luxemburg hatten ein Mandat erhalten, die Delegation des Spartakusbundes wurde von Eugen Leviné und Fritz Heckert geführt. Mit 400 gegen 50 Stimmen stimmten die Delegierten für die Wahl zur Nationalversammlung und beschlossen ihre Selbstentmachtung zugunsten des bürgerlichen Staates. »Der Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, der die gesamte politische Macht repräsentiert, überträgt bis zur anderweitigen Regelung durch die Nationalversammlung die gesetzgebende und vollziehende Gewalt dem Rat der Volksbeauftragten.«

Notwendiger Bruch

Damit habe sich die Mehrheitssozialdemokratie, hinter deren Fahne sich heute die bürgerliche Klassenherrschaft verschanzte, selbst entlarvt, meinte Rosa Luxemburg zu diesem »Sieg der Gegenrevolution auf der ganzen Linie«. Das Ergebnis sah sie vor allem als das Resultat des Einflusses der jahrelang aus dem Arbeitsleben gerissenen Soldatenräte. »Die zurückflutende Masse der Soldaten verwandelt sich allmählich in Arbeitermasse, zieht die Livree des Imperialismus aus und den Proletarierkittel an«, zeigte sich Luxemburg zuversichtlich. »Damit berühren die Soldaten wieder den Mutterboden, in dem ihr Klassenbewußtsein wurzelt, und die Fäden, die sie vorübergehend an die herrschenden Klassen knüpften, zerreißen.« Nun gelte es, über Ziel und Wesen der Revolution aufzuklären, über die Machenschaften ihrer Feinde und die Verteidigung, Festigung und schrittweise Erweiterung der revolutionären Positionen.

Doch dafür fehlte den deutschen Revolutionären eine kommunistische Partei nach dem Vorbild der in Rußland siegreichen Bolschewiki. Während Rosa Luxemburg und Leo Jogiches noch hofften, durch eine offene und prinzipielle Auseinandersetzung mit den opportunistischen Führern der USPD die Mehrheit der Parteibasis für das Programm des Spartakusbundes zu gewinnen, plädierte Karl Liebknecht als erster führender Spartakist für den vollständigen Bruch mit den Unabhängigen.

Am 22. Dezember beschloß die Zentrale des Spartakusbundes, eine Reichskonferenz nach Berlin einzuberufen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Die außerhalb der USPD stehenden Bremer Linksradikalen um Johann Knief mit ihren engen Verbindungen zu den Bolschewiki erklärten sich unterdessen zur Vereinigung mit dem Spartakusbund zur »Kommunistischen Partei Deutschlands« bereit.

Ein letztes Mal forderte die Spartakuszentrale in einem Brief an den Parteivorstand der USPD die Einberufung eines Parteitages. Doch die USPD-Führer lehnten diese Forderung am 24. Dezember in der Parteizeitung Freiheit mit der Begründung ab, daß dadurch zuviel Zeit für den Wahlkampf verlorenginge. Dies war für den Spartakusbund das Signal zum endgültigen Bruch mit der USPD. Die für den 29. Dezember einberufene erste Reichskonferenz des Spartakusbundes wurde damit zur Gründungskonferenz der KPD und das Programm des Spartakusbundes dort als Parteiprogramm angenommen.

 

Quellentext: »Was will der Spartakusbund?« (Auszug)

»Der Spartakusbund ist keine Partei, die über der Arbeitermasse oder durch die Arbeitermasse zur Herrschaft gelangen will. Der Spartakusbund ist nur der zielbewußteste Teil des Proletariats, der die ganze breite Masse der Arbeiterschaft bei jedem Schritt auf ihre geschichtlichen Aufgaben hinweist, der in jedem Einzelstadium der Revolution das sozialistische Endziel und in allen nationalen Fragen die Interessen der proletarischen Weltrevolution vertritt.

Der Spartakusbund lehnt es ab, mit Handlangern der Bourgeoisie, mit den Scheidemann-Ebert, die Regierungsgewalt zu teilen, weil er in einer solchen Zusammenwirkung einen Verrat an den Grundsätzen des Sozialismus, eine Stärkung der Gegenrevolution und eine Lähmung der Revolution erblickt. (...)

Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren, unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in ganz Deutschland, nie anders als kraft ihrer bewußten Zustimmung zu den Aussichten, Zielen und Kampfmethoden des Spartakusbundes.

Die proletarische Revolution kann sich nur stufenweise, Schritt für Schritt, auf dem Golgathaweg eigener bitterer Erfahrungen, durch Niederlagen und Siege zur vollen Klarheit und Reife durchringen.

Der Sieg des Spartakusbundes steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Revolution: Er ist identisch mit dem Siege der großen Millionenmassen des sozialistischen Proletariats.«

zit. n. Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 4, S. 448 f.