Schakalhochzeit

Tariq Alis wütendes Buch gegen die Re-Kolonisierung des Irak

 

Am 15. September 2003 präsentierte der pakistanisch-britische Publizist Tariq Ali im Gespräch mit dem Journalisten Ulrich Kienzle vor mehreren Hundert Zuhörern im Münchner Literaturhaus sein neues Buch über den Irak.

 

Kein Tag vergeht, an dem nicht mindestens ein Besatzungssoldat im Irak getötet wird. Im allgemeinen Sprachgebrauch selbst von großen Teilen der Friedensbewegung handelt es sich hier um Akte des Terrorismus. Dem widerspricht der pakistanisch-britische Publizist Tariq Ali in seiner wütenden Streitschrift „Bush in Babylon – Die Re-Kolonisierung des Irak“ vehement. Heute, so Ali, erleben wir im Irak den Beginn einer irakischen Intifada gegen die anglo-amerikanischen Kolonialisten. „Die dringlichsten Aufgaben einer anti-imperialistischen Bewegung liegen in der Unterstützung des irakischen Widerstandes gegen die britischen und amerikanischen Besatzer und die Ablehnung aller Versuche, die Vereinten Nationen irgendwie mit ins Boot zu bekommen.“ Angesichts der USA als einzig verbliebener imperialer Macht sei eine globale Liga gegen den Imperialismus notwendig. Wer hier Antiamerikanismus wittert, sollte weiterlesen: „Aber der amerikanische Anteil wäre der entscheidend wichtige. Der effektivste Widerstand geht immer von `zu Hause´ aus. Die Geschichte vom Aufstieg und Fall der großen Mächte lehrt uns, dass der Niedergang dann beginnt, wenn die eigenen Staatsbürger nicht mehr daran glauben, dass unendliche Kriege und dauernde Besetzung wirklich von Nutzen sind.“ So mussten sich die USA auch aus Vietnam zurückziehen, als die Proteste in der Heimat und der Widerstand innerhalb der US-Armee überhand nahmen.

 

Solange die Könige und Politiker der arabischen Welt käufliche Marionetten der alten und neuen Kolonialherren sind, geben einzig die Dichter das Fühlen und Denken der Menschen wieder. Entsprechend breiten Raum gibt Tariq Ali diesen häufig von arabischen Despoten ins Exil gejagten Intellektuellen. „Ich bin für Terrorismus“ lautet das über mehrere Seiten dokumentierte Bekenntnis des syrischen Dichters Nizar Qabbani. Nicht wahllose Bombenanschläge meinte Qabbani, dessen Frau selber bei einem Attentat umkam. „Terrorismus“ ist für ihn ein Wort, das die Unterdrücker verwenden, um den nationalen Befreiungskampf weltweit zu verunglimpfen. „Ich bin für Terrorismus / solange die neue Weltordnung / meine Nachkommen abschlachten und sie den Hunden vorwerfen will. / Und deshalb / erhebe ich meine Stimme: / Ich bin für Terrorismus.“

 

Im Süden des Irak schlafen die Menschen oft im Freien, um nach der Tageshitze Abkühlung zu finden. Bisweilen wird ihre Nachtruhe durch eine lautstarke Versammlung von Schakalen gestört. Einige paaren sich, andere melden lautstark ihren Anspruch an, als nächstes dran zu sein, wieder andere kämpfen miteinander. „Schakalhochzeit“ ist ein Gedicht des von Saddam Hussein ins britische Exil vertriebenen Dichters Saadi Youssef überschrieben. Mit den Schakalen sind jene Kollaborateure des vom CIA finanzierten „Irakischer Nationalkongresses“ gemeint, die sich heute in wechselnden Allianzen um die besten Plätze in der vom irakischen Volk als „Zionistenrat“ bezeichneten „Übergangsregierung“ von George W. Bushs Gnaden streiten. Auch nach dem Sturz der Baath-Partei kann der Dichter Youssef nicht in seine Heimat zurück. Er steht auf der schwarzen Liste unerwünschter Personen der neuen Herren im Irak.

 

Den Titel des Buches habe er so gewählt, dass ihn auch der „wiedergeborene christliche Fundamentalist“ George W. Bush verstehen könne, erläuterte Ali bei der Vorstellung  von „Bush in Babylon“ im Münchner Literaturhaus. Mehr als die einschlägigen Bibelstellen über das verruchte Babylon wisse der US-Präsident wohl nicht über das von seinen Truppen besetzte Land. Als die angloamerikanischen Soldaten in den Irak einmarschieren, erwarteten sie, von der Bevölkerung mit Blumen empfangen zu werden. Tariq Ali lässt die irakische Geschichte von Kolonialismus und Widerstand Revue passieren. „Ohne die Vergangenheit zu kennen, kann man nicht verstehen, was heute geschieht. ... Der Besatzer kann daraus lernen, dass der Irak eine lange Tradition des Kampfes gegen eine Kolonialmacht hat. Der Widerstand Leistende wird, so hoffe ich, die Fehler zukünftig vermeiden und die Tragödien nicht wiederholen, die die Besatzung erst möglich gemacht haben.“ Speichellecker und Gangster wie Ahmed Chalabi hatten ihre Vorgänger. Der einstige osmanische Soldat Nuri al-Said wurde nach der von Großbritannien betriebenen Gründung des Königreichs Irak in den ölreichsten Provinzen des ehemaligen Osmanischen Reichs zum verhasstesten Politiker des Landes. Als irakischer Premierminister im Sold Großbritanniens ließ er die patriotische und kommunistische Opposition blutig unterdrücken. Nuri wurde nach der Revolution von 1958 hingerichtet, sein Leichnam an eben jenem Platz an einer Laterne aufgehängt, wo er einst die Leichen ermordeter Kommunisten zur Schau stellen ließ. 

 

„IKP – Irakische Kollaborateur Partei“ heißt es in Wandparolen der irakischen Hauptstadt. Zu den Schakalen, die sich an der Übergangsregierung beteiligen, gehört heute auch die Kommunistische Partei.  Tariq Ali erinnert an die heroische Vergangenheit dieser Partei, an ihren Vorsitzenden Yusuf Salman „Fahd“, der wegen Widerstandes gegen das Kolonialregime 1948 hingerichtet wurde und ihren späteren Ersten Sekretär Hussein al Radi, der nach dem Putsch der Baath-Partei 1963 ermordet wurde. Ali vergisst auch nicht die Kritiker des moskauhörigen Kurses der kritiklosen Anpassung an die Baath-Partei wie den marxistischen Intellektuellen Khalid Ahmed Zaki. An der Spitze einer vom Vorbild Che Guevaras beeinflussten Guerilla fiel er 1968 in den Sümpfen des Südirak.

 

„Wenn es eine Region gibt, in der das Vorurteil widerlegt wird, dass Revolutionen im klassischen Sinne der Vergangenheit angehören, dann ist es die arabische Welt. An dem Tag, an dem die Dynastien der Mubaraks und Assads, der Haschemiten und der Saudis und andere vom Volkszorn hinweggefegt werden, wird auch das anmaßende Gebaren der USA und Israels in der Region ein Ende haben“, so die Hoffnung des ehemaligen britischen Studentenführers und Trotzkisten Tariq Ali, dem die Rolling Stones das Lied „Street Fighting Man“ widmeten. 

 

Nick Brauns

 

Tariq Ali: Bush in Babylon – die Re-Kolonisierung des Irak, Diederichs Verlag Kreuzlingen / München 2003, 208 Seiten, Gebunden, 19,95 €, ISBN 3720524809