Aus: junge Welt vom 31.12.2016,
Seite 15 / Geschichte
Rasputins Tod
Vor 100 Jahren wurde der in der Zarenfamilie
einflussreiche Prediger aufgrund seiner Kriegsgegnerschaft ermordet
Von Nick
Brauns
Ein zwischen
Eisschollen auf der Newa treibender Pelzmantel
erregte am Morgen des Neujahrstages des Jahres 1917 die Aufmerksamkeit der
Polizei in der russischen Hauptstadt Sankt Petersburg. Wenig später fanden
Taucher unter einem dicken Eispanzer die Leiche eines gefesselten Mannes. Bei
dem Toten handelte es sich um den Wanderprediger und engen Vertrauten der
Zarenfamilie Grigori Jefimowitsch Rasputin.
Rasputin
wurde 1869 als Bauernsohn im sibirischen Dorf Pokrowskoje
geboren. Bei einer schweren Erkrankung im Alter von acht Jahren vermeinte er,
eine Marienerscheinung gehabt zu haben. Bereits mit 17 Jahren lagen gegen ihn
Anzeigen wegen Trunksucht, Vergewaltigung und Diebstahl vor. Ab 1886
durchstreifte Rasputin als Starez (Bettelmönch) das
Land. Ein Empfehlungsschreiben eines Geistlichen öffnete ihm 1903 in Petersburg
den Zugang zu höheren Kirchenkreisen. Schnell verkehrte der vermeintliche
Wunderheiler in den Salons der Hauptstadt. »Lernten einen Mann Gottes kennen«,
vermerkte Zar Nikolaus II. am 1. November 1905 in seinem Tagebuch seine erste
Begegnung mit Rasputin.
Ab 1907
wurde Rasputin dann unabkömmlich am Zarenhof. Denn
als einzigem gelang es ihm, die Blutungen des an der Bluterkrankheit leidenden Zarewitsch zum Stoppen zu bringen. Ob ihm dabei hypnotische
Fähigkeiten oder psychologisches Einfühlungsvermögen gegenüber dem Kind halfen,
ist bis heute umstritten. Für die tiefreligiöse Zarin Alexandra Fjodorowna war Rasputin jedenfalls ein von Gott gesandter
Heiliger.
Da die
Erkrankung des Thronfolgers geheimgehalten wurde,
rankten sich bald Mythen um die besondere Nähe des sibirischen Bauern zur
Zarenfamilie. Sogar von einer intimen Affäre mit der Zarin wurde gemunkelt. Der
ausschweifende Lebenswandel Rasputins, dessen Name
mit »Wüstling« übersetzt werden kann, trug viel zu solchen Gerüchten bei.
Während Rasputin unter wachsamen Blicken der Geheimpolizei die Petersburger
Bordelle frequentierte, mehrte sich die Schar seiner Verehrerinnen unter den
abergläubischen Damen der Oberschicht. Diese rissen sich sogar um die
verschwitzte Wäsche des im zerrissenen Mönchsgewand auftretenden »heiligen
Mannes« mit wallendem Bart und langem Haar. Ämtervergabe und Geschäfte am Zarenhof erfolgten bald nur noch mit Rasputins
Einverständnis gegen entsprechende Bestechung.
Die Tat
Im Juli 1914
wurde Rasputin durch den Messerangriff einer Frau in seinem Heimatdorf
lebensgefährlich verletzt. Vergeblich versuchte er vom Krankenbett aus den
Zaren in mehr als 20 Telegrammen von einem Kriegseintritt
abzuhalten. »Lass nicht den Wahnsinn triumphieren, lass die verrückt Gewordenen
nicht in den Abgrund stürzen und uns mitreißen«, schrieb er, »Russland wird im
eigenen Blut ertrinken, unendliche Leiden und Trauer werden folgen.«
Ab Sommer
1915 hielt sich Nikolaus II. vorwiegend im militärischen Hauptquartier in
Mogiljow auf. Rasputins Einfluss auf die Zarin, die
nun die Regierungsgeschäfte in der Hauptstadt leitete, wuchs derweil weiter an.
Dem Bauernsohn dürfte – im Unterschied zum Hochadel – die zunehmende Gärung
unter den Volksmassen angesichts der desolaten Lage Russlands nicht verborgen
geblieben sein. Im Sommer 1916 warb er daher beim Zaren für einen
Separatfrieden mit dem deutschen Kaiserreich. Rasputin und die Zarin, eine
gebürtige Deutsche, wurden angesichts der Verluste der russischen Truppen von
monarchistischen Kreisen beschuldigt, mit dem Feind zu paktieren. »Finstere
Kräfte sind es, die das Land regieren und den Willen des Herrschers in Fesseln
legen«, warnte der monarchistische Abgeordnete Wladimir Purischkewitsch
im November 1916 in der Duma. Purischkewitsch
verschwor sich mit dem steinreichen Adeligen Felix Felixowitsch
Jussupow und dem Lieblingsneffen des Zaren, Großfürst Dmitri Pawlowitsch. Die
Attentäter lockten Rasputin am Abend des 30. Dezember in Jussupows Petersburger
Palast. Dort habe der Prediger vergifteten Wein und Gebäck bekommen, schilderte
Jussupow später den Hergang des Mordes aus seiner Sicht. Als das Gift keine
Wirkung zeigte, habe er in Panik mehrere Schüsse abgefeuert, doch Rasputin sei
noch in den Hof entkommen. Selbst als der gefesselte, schwerverwundete Prediger
von der Großen Petrowski-Brücke in ein Eisloch in der
Newa geworfen wurde, habe er noch gelebt. So lautet
die bis heute vielfach kolportierte Darstellung, die auf ein 1927 im Pariser
Exil veröffentlichtes Buch von Jussupow zurückgeht. Diese Schilderungen sollten
den Fürsten in einem heldenhafteren und den Ermordeten in einem dämonischeren
Licht erscheinen lassen – und vor allem sollten sie die Verwicklung des
britischen Geheimdienstes MI6 vertuschen.
Fehlkalkulation des MI6
Denn
Jussupows Darstellung steht nicht im Einklang mit den Obduktionsergebnissen. So
konnte kein Gift festgestellt werden, dagegen wies der Körper des Predigers
Spuren schwerer Misshandlungen auf. Zudem wurde ein tödlicher Kopfschuss
festgestellt. Dieser Schuss aber stammte nicht wie zwei weitere nichttödliche
Schüsse aus den Automatikwaffen der adligen Verschwörer. Vielmehr wurde er aus
einem Webley-Revolver des Kalibers 455 abgegeben, wie
ihn der damals in Petersburg stationierte britische Agent Oswald Rayner benutzte. Mit Jussopow,
dem er in den 20er Jahren bei der Abfassung seines Buches über den
Rasputin-Mord half, verband Rayner eine enge, auf die
gemeinsame Studienzeit in Oxford zurückgehende Freundschaft. Zusammen mit den
ebenfalls zu Jussopows Umfeld zählenden MI6-Agenten
John Scale und Steven Ally hatte Rayner
den Prediger zuerst unter Folter verhört und anschließend exekutiert.
Die
Ermordung Rasputins könne »das Land vom schlechten
Einfluss auf seine natürlichen Führer und den Gefährdungen für den Erfolg der
Truppen im Felde befreien«, hatte der Leiter des britischen
Geheimdienststützpunktes in Petersburg, Samuel Hoare, zuvor dem MI6-Chef
Mansfield Smith-Cumming das Mordkomplott schmackhaft zu machen versucht.
Hintergrund war die Befürchtung der Briten, Rasputin würde den Zaren
tatsächlich zu einem Separatfrieden mit Deutschland überreden können. Denn dann
hätten 70 deutsche Divisionen von der Front gegen Russland abgezogen und gegen
die Westalliierten geführt werden können.
Die
russischen Verschwörer gingen auf Druck großer Teile der Zarenfamilie, die
Nikolaus II. mit der Absetzung gedroht hatten, straffrei aus. Doch der Mord an
dem sibirischen Bauernsohn hatte das Vertrauen der ländlichen Bevölkerung in
den Zaren als Beschützer der Bauern nachhaltig erschüttert. Dass Nikolaus den
Mord an seinem Vertrauten ohne harte Bestrafung der Schuldigen hinnahm,
offenbarte zugleich die Schwäche des Herrschers. So trug Rasputins
Tod zu der revolutionären Welle bei, die drei Monate später die Herrschaft der Romanows beendete.
»Ich lag völlig
daneben, als ich glaubte, der Mord würde die `dunklen Kräfte´ vernichten«, gestand der zum Regierungspolitiker
aufgestiegene Ex-Agent Samuel Hoare 1936 ein. Der Mord erfolgte zu einem
Zeitpunkt, als es notwendig gewesen wäre, die Autorität der Herrschenden zu
stärken, »doch der Schlag erschütterte
die Machtstruktur in ihrem Innersten«.
Quelle: Rasputins
Abschiedsbrief an den Zaren
Ich schreibe und ich lasse hinter mir diesen
Brief in St. Petersburg. Ich fühle, dass ich vor dem ersten Januar mein Leben
verlieren werde. Ich möchte dem russischen Volk, dem Zaren, der Zarin, ihren
Kindern, allen Russen bekanntmachen, was sie verstehen müssen.
Falls ich von gewöhnlichen Attentätern
ermordet werde, besonders durch meine Brüder, die
russischen Bauern, dann hast Du, der Zar, nichts zu befürchten für Deine
Kinder. Sie werden über Hunderte von Jahren Russland regieren.
Falls ich jedoch von Bojaren, von Adligen,
ermordet werde, falls sie mein Blut vergießen werden, dann werden ihre Hände 25
Jahre lang befleckt sein mit meinem Blut, und sie werden mein Blut nicht
abwaschen können. Sie werden Russland verlassen müssen. Brüder werden Brüder
ermorden. Sie werden einander töten, und sie werden einander hassen. 25 Jahre
lang werden keine Adligen im Land sein.
Zar von Russland, wenn Du die Glocke hörst,
die Dir sagt, dass Grigori ermordet wurde, dann musst Du Folgendes wissen: Wenn
es Deine Verwandten waren, die meinen Tod verursacht haben, dann wird niemand
aus Deiner Familie, kein Kind Deiner Verwandten, noch länger als zwei Jahre am
Leben bleiben. Sie werden getötet durch das russische Volk.
Ich gehe, und ich fühle in mir den göttlichen
Auftrag, dem russischen Zaren zu sagen, wie er leben muss, wenn ich
verschwunden bin. Du musst nachdenken und klug handeln. Denke an Deine
Sicherheit und erzähle Deinen Verwandten, dass ich mit meinem Blut für sie
bezahlt habe. Ich werde getötet werden. Ich bin nicht länger unter den
Lebenden. Bete, bete, sei stark und denke an Deine gesegnete Familie – Grigori.
(Henri Troyat:
Rasputin. Eine Biographie. Patmos, Düsseldorf 2002, S.158)