Nikolaus Brauns
Das
Rätesystem
im
Spiegel der revolutionären Presse
während der bayerischen Revolution
1918/19
Inhalt
1. Einleitung.....3
2. Beschreibung der verwendeten
Zeitungen .....4
2.1. Neue Zeitung.....4
2.2. Münchner Rote Fahne .....4
3. Das Rätesystem im Spiegel der
revolutionären Tagespresse .....5
3.1. Die Diskussion um die Zukunft der Räte
bis zur Ermordung Eisners .....5
3.2 Von der Ermordung Eisners bis zur
Ausrufung der Räterepublik.....6
3.3 Die Räterepublik in Bayern.....8
3.4. Das Rätesystem in Ungarn und
Sowjetrußland .....10
.
4. Ergebnisse der Untersuchung .....11
I.Abkürzungsverzeichnis.....12
II.Anmerkungen .....13
III. Quellen .....15
IV. Literatur .....15
1. Einleitung
Ausgehend
von der Kieler Matrosenrevolte ergriffen im November 1918 in ganz Deutschland
spontan gebildete Zusammenschlüsse von Arbeitern, Soldaten und Bauern -Räte
genannt- die Macht.
Die Rätebildung, die zuerst nur eine Reaktion
auf den Krieg und den totalen Zusammenbruch
war, sollte in den Augen vieler Aktivisten in den Räten lediglich den
Weg zum Parlamentarismus ebnen. Doch die Anhänger der extremen Linken sahen in
den Räten eine dauerhafte Staatsform. Linkssozialisten in der USPD, die Kommunisten des Spartakusbund, revolutionäre
Betriebsobleute und Anarchisten erblickten in den spontan geschaffenen Räten
den Keim eines umfassenden Rätesystems, mit dem die Diktatur des Proletariats
verwirklicht werden sollte.
Die Revolutionäre beriefen sich dabei auf die
schon von Karl Marx analysierten
Erfahrungen der Pariser Kommune von
1871 1 und besonders auf die nach der sozialistischen
Oktoberrevolution geschaffene russische Sowjetrepublik.
Deren
Gründer, Wladimir Iljitsch Lenin,
hatte in seinem staatstheoretischen Werk Staat
und Revolution nachgewiesen, daß die Diktatur des Proletariats und der
Sozialismus nur durch die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und
dessen Ersetzung durch Arbeiterräte möglich sei. 2
Als wichtigste Inhalte eines Rätesystems nannte
Lenin 1917 in den Aprilthesen die auf
Arbeiter,-Soldaten-und Bauerndeputiertenräten gestützte Staatsmacht, die
Ämterrotation und die Möglichkeit der jederzeitigen Wähl-und Abwählbarkeit
aller Funktionäre sowie deren Bezahlung mit einem Facharbeiterlohn. 3
Desweiteren beinhaltet die Rätemacht die
Ersetzung von Polizei und stehendem Heer durch Arbeitermilizen und die
Arbeiterselbstverwaltung in den verstaatlichten Fabriken. 4
Gemäßigte
Anhänger des Rätegedankens, wie etwa der erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner, wollten Räte und
Parlamentarismus verbinden und den Räten dabei beratende und kontrollierende
Funktionen einräumen. 5
Während die gemäßigte MSPD-Regierung in den meisten Teilen Deutschlands nach und nach die
Räte entmachtete, radikalisierte sich die Stimmung in Bayern nach der Ermordung
Eisners soweit, daß es nicht nur zu
einer Stärkung der Räte kam, sondern sogar die Räterepublik Bayern ausgerufen
wurde. Als unter der Führung von Bela Kun
auch in Ungarn ein Rätesystem errichtet wurde, schien der Rätegedanke
weiter auf dem Siegeszug. Aber schon wenige Wochen nach ihrer Ausrufung wurden
die neuen Räterepubliken durch den Einmarsch weißer Truppen zerschlagen.
Bis weit in die 30er Jahre war die Presse das
wichtigste Informations-und Propagandamittel der politischen Gruppen und
Parteien.
Wer sich mit der Entwicklung des
Rätegedankens beschäftigt, ist daher zu einem nicht unerheblichen Maß auf die
damalige Presse angewiesen. Während die bürgerliche und die MSPD-nahe Presse in den Räten nur
vorübergehende Erscheinungen sah, 6 propagierten die Organe der radikalen Linken
die Idee des Rätesystems.
Um daher mehr über die Ideen des Rätesystems
zu erfahren, sollen nun zwei während der bayerischen Revolution in München
erschienene Zeitungen der USPD und
der Kommunistischen Partei nach ihrer Haltung zum Rätegedanken untersucht
werden.
2. Beschreibung der verwendeten
Zeitungen
2.1.Neue Zeitung
Die Neue Zeitung, Unabhängiges sozialistisches
Organ (NZ) erschien ab Freitag ,
dem 20. Dezember als Tageszeitung der Unabhängigen
Sozialdemokratischen Partei.
Der bayerische Ministerpräsident Eisner war Mitbegründer und bis zu
seiner Ermordung regelmäßiger Mitarbeiter der NZ. Vom Charakter her war die Zeitung ein Nachrichtenblatt, in dem
neben der aktuellen Berichterstattung noch Kommentare der Redaktion und
weiterreichende Diskussionsbeiträge erschienen. Gemäß dem zentristischen
Charakter der USPD konnten so
Meinungen in der ganzen Spannbreite von ethischem Sozialismus bis hin zu
anarchistischen Ideen in der NZ zur
Geltung kommen. 7
2.2. Münchner Rote Fahne
Die
Münchner Rote Fahne, Organ für das
werktätige Volk in Stadt und Land (MRF) , die nur zwischen dem 25. Februar
1919 und dem 30. April 1919 erschien, hat im Gegensatz zur NZ den Stil eines reinen Partei-Zentralorgans.
Herausgeber war zuerst die Ortsgruppe
München, ab der dritten Ausgabe der Landesverband Bayern der Kommunistischen Partei Deutschlands
(Spartakusbund). Als Tageszeitung geplant, war das Erscheinen der Zeitung
des öfteren eher unregelmäßig.
Die MRF
lag in ihrer politischen Linie auf dem Kurs der Parteiführung. Vom Charakter
her war die MRF weniger ein
Nachrichtenorgan, als vielmehr ein Instrument der KPD zur Intervention ins politische Geschehen und zur
kommunistischen Agitation. 8
3. Das Rätesystem im Spiegel der
revolutionären Tagespresse
Im
Folgenden soll die Haltung der revolutionär-sozialistischen Presse in München
zum Rätesystem anhand ihrer Darstellung der verschiedenen Phasen der
bayerischen Revolution sowie der Rätemacht in Ungarn und Sowjetrußland untersucht werden.
3.1. Die Diskussion um die Zukunft
der Räte bis zur Ermordung Eisners
In der ersten Phase der deutschen wie der
bayerischen Revolution waren die landesweit entstandenen Arbeiter,-Soldaten-und
Bauernräte die wirklichen Träger der Macht. Sie waren für die Versorgung der
Bevölkerung sowie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig.
Aber der MSPD-geführte Rat der Volksbeauftragten in Berlin
unter Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, der den alten
Regierungs-und Verwaltungsapparat übernommen hatte, versuchte, möglichst
schnell mit Hilfe der MSPD-Vertreter
in den Räten ein parlamentarisches System in Deutschland zu installieren und
die Rätemacht einzuschränken oder zu beseitigen.
Dieser Kampf um die Macht spiegelt sich auch
in der Neuen Zeitung der bayerischen USPD wieder, die zwischen ihren
Parteiflügeln die beiden Extremstandpunkte von reinem Parlamentarismus und
Rätedemokratie vereinte. 9
So
dokumentiert die NZ in ihrer zweiten Ausgabe
eine Rede des bayerischen USPD-Ministers
für soziale Fürsorge, Unterleitner,
in der dieser auf die Rolle der Räte eingeht:
"Arbeiter-,Bauern-und Soldatenräte sind
Institutionen, in denen sich die politische Arbeit des Proletariats
konzentriert und von denen aus die politische Energie, politische Macht und
politischer Willen sich über das ganze Land ergießen und so die politischen
Urteilkraft des Proletariats in kurzer Zeit aufs Höchste steigern werden."
Die Räte als "Institionen sozialer
Demokratie" sollten, so Unterleitner,
die Regierung beraten und Einfluß auf die Gesetzgebung erlangen. 10
In
den folgenden Augaben bringt die NZ die
Mitschrift einer Rede des romantischen Anarchisten Gustav Landauer über den "Revolutionären Arbeiterrat". Landauer sieht in einer Räterepublik
das Modell der von ihm gewünschten föderativ-sozialistischen Republik. 11
Anfang Februar, also nach der bayerischen
Landtagswahl und den Wahlen zur Verfassungsgebenden
Deutschen Nationalversammlung, veröffentlicht die NZ einen Aufruf der Berliner Arbeiter-und Soldatenräte, die sich
durch die Weimarer Nationalversammlung in ihrer Existenz bedroht fühlen. Die
Räte sehen sich als "die Träger der revolutionären Errungenschaften."
"Die Festigung und der Ausbau der Arbeiter-und Soldatenräte sowie die
Erweiterung und Verteilung ihrer Wirksamkeit" ist die Hauptforderung der
Berliner Räte. 12
Ein
Kommentar geht in dieselbe Richtung. Die Redaktion der NZ sieht das Ende der Revolution, wenn die Räte fallen sollten.
Denn sie seien "die wesentliche Errungenschaft der Revolution". Auch
der Sozialismus könne ohne die Räte nicht verwirklicht werden. 13 "Um
die Zukunft der A.-S.-Räte" sorgt sich auch ein Artikel der folgenden
Ausgabe der NZ: "(...), wollen
die Arbeiter-und Soldatenräte die Errungenschaften der Revolution nicht in
Stich lassen, so ist es höchste Zeit, mit allen Mitteln gegen die Regierung
vorzugehen, die die Träger der Revolution beseitigen will." 14
Der
Parteitag der USPD sowie die USPD-Fraktion in der
Nationalversammlung in Weimar erlassen am 8. Februar dann auch einen Aufruf
"An das revolutionäre Proletariat Deutschlands!", die Räte zu
erhalten und ihre Rechte zu erweitern. 15
Eine Extranummer der NZ, die eine Rede Kurt
Eisners über die Berner
Sozialisten-Konferenz dokumentiert, erläutert Eisners Forderung, den Räten einen Teil der politischen
Verantwortung zu überlassen. Die Sonderausgabe schließt dann auch auf der
Rückseite mit der Parole: "Für die tätige Demokratie der Massen in den
Arbeiter,-Soldaten und Bauernräten!" 16
Nicht die reine Rätemacht erstrebte die
Mehrheit der USPD, sondern einen
Kompromiß, in dem die Räte bestimmte staatsrechtliche Funktionen neben dem
Parlament erhalten sollten, so führt der Redakteur Breitscheid in seine
Überlegungen zur "Zukunft der Arbeiterräte"17 aus.
3.2.Von der Ermordung Eisners bis zur
Ausrufung der Räterepublik
Während die NZ noch unkommentiert die Debatten des Bayerischen A,-B.und
S.-Rätekongresses schildert 18, führt die Ermordung Kurt Eisners am 21. Februar durch den Reaktionär Anton Graf Arco zu einer schnellen
Radikalisierung des politischen Klimas in Bayern.
Der
Schlußsatz im Nachruf auf Kurt Eisner "Ein Märtyrter der
Revolution" fordert dann auch plötzlich "Alle Macht den arbeitenden
Massen, geeinigt und geschlossen in der revolutionären Organisation der
Räte!" 19
Aufgeschreckt
von der Bluttat eines Konterrevolutionärs und den sofort folgenden
Protestaktionen der Arbeiterschaft bekommen nun die Anhänger der Rätemacht in
der bisher schwankenden USPD das
Sagen. Sollte den Räten bisher nur ein Teil der Macht überlassen werden, so
bezieht die NZ jetzt klar Stellung:
" Das parlamentarische System als politische Form der bürgerlichen
Gesellschaft wird sich als unfruchtbar erweisen für die Lösung gewaltiger
Zukunftsaufgaben. Dagegen wird die Selbsttätigkeit proletarischer Massen in den
Räten siegreich aus allen Proben hervorgehen." 20
Auch am 25.Februar spricht sich die Redaktion
der NZ in einem Leitartikel für
"eine Räteregierung, in der das Proletariat der ausschlaggebende Faktor
ist", an der aber auch dem Sozialismus nahestehende Fachleute beteiligt
seien sollen, aus. 21
An
diesem Dienstag erscheint erstmals die Münchner
Rote Fahne als Parteizeitung der bayerischen KPD (Spartakusbund) und fordert auf der Titelseite in einem
"Aufruf an das Proletariat!" die "Diktatur des
Proletariats". Das Rätesystem sollte Grundlage für die Einheit der
Arbeitenden sein. 22
In
einem Bericht zum Rätekongreß stellt die MRF
klar, "daß es nur ein entweder oder gibt: alle Macht den A.-S.-und B.-Räten
oder der Nationalversammlung." Da die Massen das Rätesystem favorisierten,
sollte die Räterepublik in Bayern ausgerufen werden.23
Zum
Thema "Landtag oder Räteregierung" druckt die NZ am 28. Februar einen Diskussionsbeitrag des MSPD-Arbeitersekretärs Otto
Thomas ab, der den Räten langsam mehr Macht geben will und das überstürzte
Verhalten der Spartakisten kritisiert. 24
Rückendeckung
bekommt die NZ mit ihrer Forderung
nach Rätemacht durch die Resolutionen des USPD-Parteitages
in Berlin. Die Partei fordert in einem in der NZ veröffentlichten Aktionsprogramm, die Rätemacht in der
Verfassung zu verankern, denn "das Rätesystem, die Kampforganisation, die
sich das Proletariat in der Revolution geschaffen hat, ist von dem gesamten
Parteitag als entscheidendes Mittel zur Umwälzung der bürgerlichen Gesellschaft
verkündet worden." 25
"Die Räte sind die Waffe im Kampf gegen
das Kapital." meint auch die MRF
gegen die Gefahr der bürgerlichen Konterrevolution.
Eine
Gefahr drohte den Räten aber auch, so die KPD,
in den von der Regierung Ebert
geplanten Neuwahlen der Räte. In einem
"Aufruf der Zentrale" stellt sich die MRF gegen "Die Verfälschung des Rätesystems" durch die
Ersetzung der Betriebsräte.26 Die Verankerung der Räte in den Betrieben beschreibt
die MRF später am Beispiel der Räte
im Ruhrgebiet in dem Artikel "Arbeiterräte und Sozialisierung".27
Nach
anfänglicher Euphorie der USPD kommt
durch den Redakteur Albert Winter jr.
nun wieder ein vorsichtigerer Standpunk zum Tragen. Der Leitartikel fordert
zwar "die Herrschaft der Räte", spricht sich aber für ein langsames
Vorgehen aus, um den Militarismus nicht zu provozieren. 28
In
einer Beilage der NZ vom 29.März
veröffentlicht der Anarchist Gustav
Landauer einen Brief "Von der Rätedemokratie und dem Weg der
Revolution", in dem er die Notwendigkeit von Demokratie und
Massenaktivität für den Sozialismus betont. 29
Eine indirekte Zustimmung zu Landauers Brief stellt der folgende Kommentar von Albert Winter jr. dar, in dem auch er klarstellt, daß die Räte "keine
Verneinung der Demokratie, sondern aus der revolutionären Aktion geborene
Körperschaften "seien. 30
Auch
Arbeitersekretär Otto Thomas hält die
Räte in seinen Überlegungen "Zur Räteverfassung" für eine Selbstverwaltung von unten für
geeignet und spricht sich für eine Weltrevolution der Räte aus. 31
3.3. Die Räterepublik in Bayern
Mit der Ausrufung der Räterepublik in Bayern
am 7. April verschärft sich auch die Auseinandersetzung um das Rätesystem in
der Presse. Kommunisten und Sozialisten richten sich nun öfters mit großen
Proklamationen in ihrer jeweiligen Presse direkt an die Bevölkerung,
gleichzeitig wird mit scharfer Polemik von Seiten der KPD für eine kommunistische Räterepublik gekämpft.
Schon am Sonntag, den 6.April, distanziert
sich die KPD mit einer Erklärung in
der MRF von dem Vorhaben der
Anarchisten und Sozialdemokraten im Zentralrat,
Bayern per Dekret zur Räterepublik zu erklären. In der Überschrift der Zeitung
erklären die Kommunisten bereits ihre Ablehnung der
"Schein-Räterepublik", in der sie nur eine Diktatur des Zentralrates erblicken. Die Erklärung
der bayerischen KPD endet mit der
Feststellung: "Der Kampf um die wirkliche kommunistische Räterepublik
beginnt
erst!" 32
Doch Anarchisten und Unabhängige führen ihren
Plan aus und am Montag, den 7.April,
erscheint die NZ mit einer
großen Proklamation auf der Frontseite. Ernst
Niekisch verkündet im Auftrag des Revolutionären
Zentralrates: "Die Entscheidung ist gefallen. Bayern ist
Räterepublik!" 33
Währenddessen
apelliert die MRF mit dem Aufruf
"Arbeiter! Folgt nur den Parolen der Kommunistischen Partei!" an die
Arbeiterklasse, "(...),das schärfste Mißtrauen allen Schritten den
Gründern der Scheinräterepublik gegenüber zu bewahren." 34
Mit beißendem Spott zieht die MRF dann auch bald über "Drei Tage
der `Räte-Republik'´ohne Räte" her. Eine "Räterepublik ohne Räte.
Proletarische Diktatur ohne Proletariat. Volksbeauftragte ohne Aufträge des
arbeitenden Volkes.(...). Revolutionäre Phrasen ohne revolutionären Inhalt,
revolutionäre Worte ohne revolutionäre Taten." 35
In
derselben Nummer der MRF erscheint
auch eine Polemik gegen eine Erklärung der USPD
in der NZ. Während die Unabhängigen Sozialdemokraten der
Meinung sind, mit "kommunistischen Bedingungen" den Erhalt der
Räterepublik zu sichern, entgegnet die MRF:
"Die Räterepublik stürzt, wenn sie fest auf den Schultern des Proletariats
ruht, nur dann, wenn das Proletariat selbst zusammenbricht, wenn aber diese
Niekischräterepublik zusammenstürzt, so ist im Gegenteil erst die Bahn frei für
eine echte, unverfälschte Räterepublik, d.h. Diktatur der Arbeiter, Bauern und
Soldaten." 36
Doch schon zwei Tage später läßt die MRF vom offenen Kampf gegen die "Scheinräterepublik" ab.
Eine Erklärung des Zwanziger Rats und
des revolutionären Rats der
Betriebsobleute ruft dazu auf, erst den Kampf gegen die drohende
Konterrevolution zu führen. 37
Noch
am Sonntag, den 12.April, erklärt die KPD
in der MRF "Warum wir nicht
mitmachen", daß die gewählten Vertreter der Arbeiter hinter den
Kommunisten stehen.38 Als an diesem Sonntag die MSPD-nahe Republikanische Schutzgarde in ihrem Palmsonntagsputsch versuchte, die
Räterepublik zu stürzen, schien der KPD
der geeignete Moment gekommen, gestützt auf die radikalen Arbeiter, die
kommunistische Räterepublik zu konstituieren.
Ab
Montag verhinderte dann ein 10-tägiger Generalstreik in München auch das
Erscheinen der MRF und der NZ.
Am Freitag, den 25.April, zeigt die MRF in einem langen theoretischen
Artikel:
"Der Gedanke der Räterepublik hat die
Massen ergriffen." 39
Zu
demselben Ergebnis kommt auch der USPD-Rätetheoretiker
Ernst Däuming in dem Leitartikel der NZ über die "Bilanz des
Rätekongresses": "Der Rätegedanke wird jetzt erst recht eine werbende
Kraft in den Köpfen und Herzen der Massen draußen ausüben." 40
Selbst noch im Angesicht der heranrückenden
Weißgardisten auf München verkündet die MRF
am Montag, den 28.April, in dem Artikel "Der Sieg des Rätegedankens":
"Weltgedanke ist er geworden. Die Welt will er erobern, er wird sie erobern."41
Zwei
Tage später wird die Zeitung der bayerischen Kommunisten zum letzten Mal
erscheinen, nach dem Sieg der Konterrevolution wird die kommunistische Presse
verboten. Lediglich die NZ kann bald
weitererscheinen und verkündet einige Wochen nach dem Ende der Münchner
Räterepublik: "Wenn einmal in einem Land die soziale Revolution in Fluß
gekommen ist, wird auch der Rätegedanke und die Räteorganisation so lange
lebendig bleiben, bis ihr letztes Ziel, die Verwirklichung des Sozialismus,
Tatsache geworden ist.
3.4. Über das Rätesystem in
Ungarn und Sowjetrußland
Während
sich die vorhergehende Untersuchung weitgehend auf die Räte in Bayern
beziehungsweise Deutschland bezog, soll nun hier ein kurzer Überblick über die
Berichterstattung der revolutionären sozialistischen Presse in München zu den
Sowjetrepubliken in Rußland und Ungarn gegeben werden.
3.4.1. Ungarn
Die
Berichterstattung über den Aufbau des Rätesystems in Ungarn hat sowohl in der NZ wie der MRF weitgehend Nachrichtencharakter. Aber gerade die MRF führt in einigen Artikeln die
Maßnahmen der ungarischen Revolutionäre auf, die spezifisch rätedemokratischen
Charakter tragen. So erscheinen Artikel über die
"Revolutionstribunale" im ungarischen Rätesystem 43 und
über die basisdemokratische Wahl der Anführer der ungarischen Roten Armee 44.
3.4.2. Sowjetrußland
Insbesondere im Aufbau des russischen
Sowjetsystems erblickten viele revolutionäre Linke in Deutschland ein Vorbild.
So
berichtet der Korrespondent des Manchaster
Guardian, M. Philips Price, in der NZ
über "Das Rätesystem in Rußland" und geht dabei auf die
politische Organisation, die Deputiertenwahlen und den Aufbau des Rätestaates
ein.45
Die MRF
dokumentiert gleich in ihrer ersten Ausgabe "Die Verfassung der russischen
Sowjetrepublik" , deren erster Punkt lautet: "Rußland wird als
Republik der Arbeiter,-Soldaten-und Bauernsowjets proklamiert. Die gesamte
Macht im Zentrum wie in den einzelnen Orten gehört diesen Sowjets (...)." 46
Weiterhin
dokumentiert die MRF die Gesetze der
russischen Sowjetrepublik unter dem Titel "Was wollen die Kommunisten
?". 47
Und
in ihrer letzten Ausgabe führt die MRF
auch noch das "Programm der russischen kommunistischen Partei
(Bolschewiki)" auf. Hier lautet der 23.Artikel unter anderem: "Die
Republik der Sowjets (...) bietet eine unermäßlich höhere und
fortgeschrittenere Form der Demokratie, als der bürgerliche Parlamentarismus
und der einzige Typus des Staates, der die (!) Übergangsperiode vom
Kapitalismus zum Sozialismus entspricht (...)".48
4.Ergebnisse der Untersuchung
Diese
Untersuchung zweier Zeitungen der revolutionären Linken läßt einige
zeitspezifische und allgemeingeschichtliche Schlüsse zu.
Die Betrachtung der Berichterstattung
insbesondere der NZ zeigt, wie in
entsprechenden historischen Situationen radikales Gedankengut bei breiten
Massen Fuß fassen kann. Vor 1917 war die Idee eines Rätesystems nur die Utopie
einer intellektuellen Minderheit. Erst
nach der Erfahrung der russischen Oktoberrevolution
und der Rätebildung in der deuschen Novemberrevolution wurde ein Klima
geschaffen, in dem die Rätemacht nennenswerten Teilen der Bevölkerung
zumindestens eine attraktive Alternative zu Monarchie und Parlamentarismus bot.
Die
Radikalisierung der politischen Stimmung nach dem Eisnermord, die ja auch in
der Presse ihren Niederschlag fand, zeigt auf deutliche Weise, wie zum
richtigen Zeitpunkt auch einzelne Aktionen als Fanal wirken können.
Schwankende, wie viele USPD-Mitglieder,
wurden durch die Bluttat, aber besonders durch das massive Aufflammen von
Protest in der Arbeiterschaft radikalisiert und nach links gerissen. Anderen
Linken, wie der KPD, bot sich nun die
Gelegenheit, mit ihrer Propaganda für das Rätesystem Anklang zu finden.
In der Polemik der MRF gegen die erste Räterepublik manifestiert sich auch die
Differenz zwischen dem Voluntarismus der Anarchisten und Teilen der USPD und der revolutionären Realpolitik
der Kommunistischen Partei. Während Intellektuelle wie Niekisch und Utopisten wie Landauer
auf die Einsicht der Menschen setzten und hofften, mittels Proklamationen von
oben die Massen für den Rätestaat zu gewinnen, sah die KPD, daß der Kampf um das Rätesystem durch Basisarbeit,
insbesondere in den Betrieben, zu führen war. Nach der vernichtenden Erfahrung
des Spartakusaufstandes in Berlin war
bei der KPD Vorsicht gegen ultralinkes Abenteurertum geboten.
Wenn
man den Optimismus, sowohl der NZ,
wie auch der MRF, betrachtet, wo noch
im Angesicht der Niederlage vom Sieg des Rätegedankens geschwärmt wurde, dann
erscheint dies schon tragisch, bedenkt man, daß gerade in München die
Nazi-Bewegung ihren Anfang nehmen sollte, die wenige Jahre später die
Katastrophe herbeiführte.
Der
Gedanke des Rätesystems drang dennoch immer wieder ins Bewußtsein der Massen,
so im Spanischen Bürgerkrieg 49
und während der weltweiten
Unruhen 1968, aber auch bei den verschiedenen antistalinistischen Aufständen in
Osteuropa.
Der Rätegedanke ist nicht an eine bestimmte
geschichtliche Epoche gebunden, sondern er wird immer dann aktuell werden, wenn
die parlamentarischen und die autoritären Staatsformen versagen und die
Menschen gezwungen sind, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
I.Abkürzungsverzeichnis:
-A.-S.-B.-Räte: Arbeiter,-Soldaten-und
Bauernräte
-KPD: Kommunistische Partei Deutschland (Spartakusbund)
-MRF: Münchner Rote Fahne
-MSPD: Mehrheitssozialdemokratische Partei
Deutschlands
-NZ. Neue Zeitung
-USPD/USP: Unabhängige Sozialdemokratische
Partei Deutschlands
II.Anmerkungen
1 Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich in:Marx, Engels AW, Bd.IV, Berlin 1988, 45-106.
2 Wladimir Iljitsch Lenin: Staat und Revolution in: Lenin AW, Bd.III , Berlin 1979, 461-584.
3 Wladimir Iljitsch Lenin: Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution in: Lenin AW, Bd.III, Berlin 1979, 60-66.
4 siehe auch: Wilfried Gottschalch: Parlamentarismus und Rätedemokratie, Berlin 1978.
Ekkehard Völkl: Rätesystem, in: Staatslexikon, Görresgesellschaft, Bd.IV, Freiburg 1988, 638-641.
Was ist eigentlich Anarchie ?, Berlin 1986.
Dieter Schneider / Rudolf Kunda: Arbeiterräte in der Novemberrevolution, Frankfurt/M 1968.
5 Kurt Eisner: Sozialismus als Aktion, Frankfurt/M 1975.
6 siehe z.B. Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger , München 11/1918 - 5/1919.
7 Neue Zeitung, Unabhängiges sozialistisches Organ, ab 20. Dezember 1918, Redaktion und Druck in München, Tageszeitung der.bayerischen USPD.
8 Münchner Rote Fahne, Organ für das werktätige Volk in Stadt und Land, 25.Februar - 30.April 1919, Zeitung der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund), Landesverband Bayern, Druck und Redaktion in München.
9 Bis zur Gründung der KPD am 30.Dezember 1918 war der kommunistische Spartakusbund Mitglied der USPD. Auch ein gemäßigter Flügel der sich später der MSPD anschloß und für den Parlamentarismus eintrat, befand sich noch in der USPD.
10 NZ 2, 21.12.1918, Die Revolution und das Proletariat.
11 NZ 3,4,5, 23-25.12.1918 , Der revolutionäre Arbeiterrat.
12 35, 3.2.1919, Ein Aufruf der Berliner Arbeiter-und Soldatenräte.
13 NZ 37, 5.2.1919, Wo stehen wir.
14 NZ 38, 6.2.1919, Um die Zukunft der A.-und S.-Räte.
15 NZ 42, 11.2.1919, An das revolutionäre Proletariat Deutschlands.
16 NZ Extranummer, 13.2.1919, Kurt Eisner über die Sozialistenkonferenz in Bern.
17 NZ 45, 14.2.1919, Die Zukunft der Arbeiterräte.
18 NZ 45-51, 14.2.1919-21.2 1919 Der Kongreß der Bayer.A.-B.-u.S.-Räte.
19 NZ 52, 22.2.1919, Ein Märtyrer der Revolution.
20 NZ 53, 23.2.1919, Die Einheitsaktion.
21 NZ 55, 25.2.1919, Landtag oder Räteregierung?.
22 MRF 1, 25.2.1919, Aufruf an das Proletariat.
23 MRF 2, 26.2.1919, Rätekongreß.
24 NZ 57, 28.2.1919, Landtag oder Räteregierung?.
25 NZ 67, 12.3.1919, Genossinnen und Genossen!.
26 MRF 3, 18.3.1919, In ernster, aber hoffnungsfroher Stunde.; Kommunisten und Rätekongreß.
27 MRF 15, 1.4.1919, Arbeiterräte und Sozialisierung.
28 NZ 73, 19.3.1919, Taktik und Prinzip.
29 NZ 82, Beilage, 29.März 1919, Von der Rätedemokratie und dem Weg der Revolution.
30 NZ 83, 31.3.1919, Die Diktatur des Proletariats.[nb1]
31 NZ 88, 5.4.1919, Zur Räteverfassung.
32 MRF 20, 6.4.1919, Abhängige und Unabhängige wollen eine Räterepublik proklamieren.
33 NZ 90, 7.4.1919, An das Volk in Bayern.
34 MRF 20(!), 7.4.1919, Arbeiter! Folgt nur den Parolen der Kommunistischen Partei!.
35 MRF 21, 9.4.1919, Drei Tage der Räte-Republik ohne Räte.
36 MRF 21, 9.4.1919, Erklärung der Münchner U.S.P.,
NZ 91, 9.4.1919, Erklärung der Münchner U.S.P.
37 MRF 23, 11.4.1919, An die Arbeiterschaft Münchens!.
38 MRF 24, 12.4.1919, Warum wir nicht mitmachen!.
39 MRF 26, 25.4.1919, Die Kommunistische Partei und die Räterepublik.
40 NZ 97, 26.4.1919, Die Bilanz des Räte-Kongresses.
41 MRF 28, 28.4.1919, Der Sieg des Rätegedankens
42 NZ 107, 15.5.1919, Die Entwicklung des Rätegedankens .
43 MRF11,27.3.1919,Ungarische Räterepublik.
44 MRF 11, 27.3.1919, Die ungarische rote Armee.
45 NZ 55, 25.2.1919, Das Rätesystem in Rußland.
64 MRF 1, 25.2.1919, Die Verfassung der russ.Sowjetrepublik.
47 MRF 5, 20.2.1919, Was wollen die Kommunisten?.
48 MRF 30, 30.4.1919, Programm der russischen kommunistischen Partei (Bolschewiki).
49 Was ist eigentlich Anarchie, Berlin 1986, 136 - 142.
Pierre Broue / Emile Termine: Revolution und Krieg in Spanien, Frankfurt/ M 1968.
III.Quellen
- Kurt Eisner: Sozialismus als Aktion, Frankfurt/M 1975.
-Wladimir Iljitsch Lenin: Ausgewählte Werke, Band III, Berlin 1978
-Karl Marx, Friedrich Engels: Ausgewählte Werke, Band IV, Berlin 1988
Zeitungen
-Bayerische Staatszeitung und bayerischer Staatsanzeiger, München 11/1918 - 5/1919
-Münchner Rote Fahne, Organ für das werktätige Volk in Stadt und Land, München 2/1919 - 4/1919
-Neue Zeitung, Unabhängiges sozialistisches Organ, München 12/1918 - 5/1919
IV.Literatur
- Pierre Broue / Emile Termine: Revolution und Krieg in Spanien, Frankfurt/ M 1968
- Wilfried Gottschalch: Parlamentarismus und Rätedemokratie, Berlin 1978
- Dieter Schneider / Rudolf Kunda: Arbeiterräte in der Novemberrevolution. Ideen, Wirkungen, Dokumente, Berlin 1968
- Staatslexikon, Görresgesellschaft Bd.IV, Freiburg 1988
- Was ist eigentlich Anarchie?, Berlin 1986
Ludwig-Maximilians-Universität
Wintersemester 1993/94
Institut für bayerische Geschichte
Dr.Johannes Merz
Proseminar: Die Entstehung des Freistaates Bayern
Seite: 14
[nb1]