Aus: junge Welt Ausgabe vom 20.05.2020, Seite 14 / Feuilleton

 

Rotlicht: Querfront

Von Nick Brauns

 

Ein Gespenst geistert durch die liberalen Blätter: das Gespenst der Querfront. »Auf den ›Hygiene-Demos‹ finden sich Rechts- und Linksradikale, Autonome und Antisemiten«, glaubt etwa die Süddeutsche Zeitung und wähnt eine »Corona-Querfront« am Werke, in der sich Gegner der staatlichen Eindämmungsmaßnahmen gegen die Pandemie geeint durch Feindbilder wie dasjenige des US-Milliardärs Bill Gates zusammengeschlossen hätten.

Querfront so verstanden, bezeichnet allgemein die Zusammenarbeit linker und rechter Kräfte in lagerübergreifenden Aktionsbündnissen sowie die Vermischung ihrer Positionen mit dem Ziel, Anhänger des jeweils anderen Lagers für sich zu gewinnen. Es gibt derweil auch einen aufgeklärten, mithin marxistischen Begriff von Querfront.

Die Ursprünge der Querfrontstrategie liegen in der Weimarer Republik, wo rechtsintellektuelle Strömungen wie die »Konservative Revolution« einen auf »Volksgemeinschaft« beruhenden »nationalen Sozialismus« propagierten. Durch die Trennung des sozialistischen Gedankens von Marxismus, Klassenkampf und Internationalismus sollten Teile der Arbeiterklasse für die Idee eines autoritären Führerstaates gewonnen werden. Der Querfrontbegriff selbst scheint dabei auf Hans Zehrer, den Chefredakteur der rechten Theoriezeitschrift Die Tat, zurückzugehen.

Die Chance zur praktischen Umsetzung sah der Tat-Kreis in der Kanzlerschaft General Kurt von Schleichers ab Dezember 1932. Um seiner auf Präsidialdekreten beruhenden Regierung eine breitere Basis zu verschaffen, strebte der General ein Bündnis der Reichswehr mit rechten Sozialdemokraten, Gewerkschaften sowie dem stärker auf antikapitalistische Demagogie setzenden »linken« Flügel der NSDAP um die Gebrüder Otto und Gregor Strasser an. Zwar hatte es direkte und indirekte Sondierungsgespräche gegeben. Doch Schleichers Konzept wurde von den Spitzen von SPD und NSDAP gleichermaßen zurückgewiesen. Auf Schleicher folgte Ende Januar 1933 Adolf Hitler als Kanzler, der den »roten General« 1934 von der SS ermorden ließ.

Die vom Großkapital finanzierte NSDAP versuchte schon mit ihrem Parteinamen, der die Begriffe »sozialistisch« und »Arbeiter« enthielt, in den Reihen der Arbeiterbewegung zu wildern. Eine wirkliche Basis auch unter Teilen der Arbeiterklasse bekam die Nazipartei allerdings erst an der Macht, nach der Zerschlagung von SPD, KPD und Gewerkschaften.

Als »Autonome Nationalisten« vor rund 15 Jahren damit begannen, »schwarze Blöcke« auf Demonstrationen zu bilden sowie Palästinensertücher und T-Shirts mit dem Bild Che Guevaras zu tragen, warnte unter anderem der sächsische Verfassungsschutz vor einer »Querfront«. Der Geheimdienst merkte aber an, dass den Nazis dafür im Freistaat »der linke Spielpartner« fehle, da die dortige autonome Linke antideutsch-israelfreundlich sei.

Historisch stellt das Querfrontkonzept eine Strategie der Rechten da, Linke durch die Übernahme ihrer Themen, Begriffe und Symbole zu neutralisieren. Der von bürgerlicher Seite regelmäßig erhobene Querfrontvorwurf soll dagegen marxistische und antiimperialistische Linke diffamieren. Auch die Gründer der gescheiterten Sammlungsbewegung »Aufstehen« fielen unter das Verdikt, weil sie auch AfD-Wähler für ihr im Kern sozialdemokratisches Projekt ansprechen wollten.

Bei den Protesten der Coronaleugner treten Linksradikale vor allem in der Phantasie des SZ-Journalisten auf. Doch Marktschreier dieser obskurantistischen Bewegung, die von selbsterklärten Liberalen über Impfgegner und Esoteriker bis zu Neonazis reicht, trommeln wie der »alternative« Onlinesender KenFM offen für eine Querfront. Dabei agieren die vermeintlichen »Coronarebellen« mit ihrem Ruf nach dem Ende aller Eindämmungsmaßnahmen letztlich nur als dumm-rabiate Fußtruppen des auf schnelle Profite hoffenden deutschen Kapitals.