Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit

Die PKK und die kurdische Frage in den deutschen Medien



von Nick Brauns, Journalist



Nach der Verschleppung und Verurteilung des kurdischen Volksführers Abdullah Öcalans war es in den deutschen Medien lange still geworden um die Kurden. Die türkischen Drohungen mit einem Militäreinmarsch nach Südkurdistan und die pogromartigen Übergriffe türkischer Rechtsextremisten auf kurdische Bürger in Deutschland haben in den letzten Monaten zu einer verstärkten Berichterstattung geführt. Analysen von Türkei-Korrespondenten und Reportagen aus PKK-Guerillacamps im Nordirak verheißen Authentizität. Tatsächlich zeigen sie vor allem die Schwierigkeiten deutscher Journalisten beim Schreiben der Wahrheit. Im folgenden Artikel soll es nicht um plumpe Hetzte im Stile von „Terrorbande“ oder „PKK-Kindermörder“ gehen, die sich nach wie vor auch in den deutschen Medien findet, sondern um subtile und um so gefährlichere Manipulationen in Beiträgen, die in ihrer Grundtendenz sogar prokurdisch erscheinen.



Kurdischer Staat als Ziel?

Zu den am häufigsten Verbreiteten Lügen über die PKK gehört die auch von Nachrichtenagenturen regelmäßig kolportierte Behauptung, die PKK kämpfe noch für einen eigenen kurdischen Staat. „Türkische Soldaten werden ermordet und in türkischen Städten explodieren Sprengsätze. Die Kurden kämpfen hat für die Schaffung eines eigenen Staates. Die Zustimmung der Türkei wollen sie dabei erzwingen“, leitet Boris Kalnok einen Artikel in der Internet-Ausgabe der konservativen Tageszeitung DIE WELT ein (PKK setzt auf blutige, medienwirksame Aktionen, Welt Online 8.Oktober 2007). „Die Welt“ hatte sogar ihre Reporterin Birgit Svensson zu den Guerilakämpferinnen in den nordirakischen Kandil-Bergen geschickt, die dort auch mit Hevale Mizgin, einer führenden Vertreterin des aus der PKK hervorgegangenen Dachverbandes der „Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans“ KCK sprach. So richtig zugehört hat die Journalistin offenbar nicht, wenn sie schreibt: „Die `Sache´ ist ein unabhängiges Kurdistan, die zwischendurch zwar kurzzeitig Autonomie hieß und mehr Rechte für die Kurden in der Türkei, seit Kurzem aber wieder auf die ursprüngliche Forderung zurückfällt.“ Der in Istanbul lebende Türkei-Korrespondent der linksliberalen Berliner Tageszeitung „taz“ Jürgen Gottschlich schwadroniert gar von einem „Traum von Großkurdistan, den die PKK als angebliche Befreiungsorganisation für alle Kurden träumt“. (Militärschläge bringen nichts, taz 4.11.2007). Der Träumer ist dabei Gottschlich selber, denn wie Wolfgang-Günther Lerch von der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung in seiner „Kleinen Geschichte der PKK“ richtig erkannte, wurde das ursprüngliche Ziel „die Errichtung eines sozialistisch geprägten Staates Kurdistan“ längst zugunsten einer „kurdischen Autonomie“ aufgegeben (Wiederaufflammender Kampf, FAZ 30.10.2007).

Bereits im März 1993 kündigte der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Vorsitzenden der südkurdischen Patriotischen Union Kurdistans Jelal Talabani im syrischen Bar Elias erstmals öffentlich den Verzicht auf die Forderung nach einem eigenen Staat zugunsten einer Autonomielösung an. Nach seiner Verschleppung in die Türkei sprach sich Öcalan ab 1999 für eine „demokratische Republik Türkei“ mit der Anerkennung der kurdischen Sprache und Kultur aus. Heute vertreten die aus der PKK hervorgegangenen Organisationen das Konzept des „demokratischen Konföderalismus“ als Aufbau einer demokratisch-ökologischen Zivilgesellschaft durch kommunale Basisorganisierung ohne bestehende Staatsgrenzen anzutasten.



Schwäche der PKK?

Oft war in den letzten Monaten von einer Schwäche der PKK zu lesen. Um ihren angeblich schwindenden Einfluss zu kaschieren, habe die PKK zu verstärkten militärischen Aktivitäten gegriffen, lautet der Tenor.

Der Wunsch scheint hier Vater des Gedankens zu sein. Schließlich machte sich kaum ein Journalist in den letzten Jahren die Mühe und nahm im März an den Newrozfesten in den kurdischen Provinzen der Türkei teil. Sonst wäre ihnen aufgefallen, dass die dort versammelten Massen Öcalan und die PKK hochleben ließen. Verirrt sich doch mal ein Journalist einer großen deutschen Tageszeitung nach Diyarbakir, sucht er kaum das Gespräch mit den Menschen auf dem Basar oder im Teehaus, sondern lässt sich lieber in den Lobbies der Hotels vom liberalen Geschwätz eines örtlichen Geschäftsmanns einseifen, der sich kaum öffentlich zur PKK bekennen kann. Wenn dann selbst eine kurdische Großdemonstration in Deutschland für die Freilassung von Abdullah Öcalans mit Zehntausenden Teilnehmern nicht einmal in den Randspalten der überregionalen Presse Erwähnung finden, weil keine Autos brannten, dann schließt mancher Journalist schnell auf eine Schwäche der PKK.

So mutmaßen Annette Grossbongadt und Bernhard Zand im Nachrichtenmagazin Der Spiegel: „Militärisch mag die PKK stark genug sein, immer wieder die türkische Armee herauszufordern, doch politisch ist sie angeschlagen und kämpft um ihr Überleben.“ (Kurdische Katzen, Der Spiegel 29.10.2007). Als Beweis wird das gute Abschneiden der Kandidaten der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP auch in den kurdischen Landesteilen und das vergleichsweise schwache Ergebnis der Kandidaten der kurdischen Partei für eine Demokratische Gesellschaft DTP angeführt, „deren Aktivisten der PKK mitunter sehr nahe stehen“. Auf die Hintergründe des Wahlergebnisses, die vorangegangenen Putschdrohungen des Generalstabes, massive Einschüchterung von Wählern durch Soldaten und Dorfschützer, Wahlmanipulation in den kurdischen Landesteilen und Schulterschluss aller Parteien hinter der AKP gegen die unabhängigen kurdischen und linken Kandidaten schweigen sich die Autoren aus.

Ein „Terrortrupp[s] von 3000 Mann, der aus Schwäche zuschlägt, nicht aus Stärke“, heißt es im schon zitierten Artikel von Kai Strittmatter. „Der PKK kann nur eines neues Leben einhauchen: der gewaltige Militärschlag, der gerade vorbereitet wird.“ (Türkische Angst, SZ 31.10.2007) Noch drei Monate zuvor wußte der selbe Autor: „Die PKK ist im kurdisch besiedelten Südosten der Türkei noch immer so verwurzelt, dass die DTP-Führung sich bislang nicht zu einem klaren Bruch mit der PKK durchringen konnte (Die Brücke der Versöhnung, SZ 20.07.2007). Entweder hat PKK innerhalb weniger Wochen rapide an Einfluß verloren oder Herr Strittmatter lässt sein Fähnlein mit dem Wind wehen...

Die schon zitierte Birgit Svensson schrieb zusammen mit ihrer Kollegin Andrea Böhm in der liberalen Hamburger Wochenzeitung Die Zeit über das angebliche „Kalkül der Guerillaführer: sich buchstäblich aus der politischen Irrelevanz herauszubomben, auf neue türkische Repressionen und Ausschreitungen gegen Kurden zu hoffen – und damit auch auf neue Rekruten für die eigenen Reihen.“ (Frauen an der Front, Die Zeit, 25.10.2007) Es ist schwer zu sagen, ob es sich hier um Böswilligkeit oder Dummheit der Autorinnen handelt. Es gibt zahlreiche Statements von Seiten der PKK bzw. Kongra-Gel oder KCK gegen einen türkischen Einmarsch und für die Bereitschaft zu einer politischen Lösung, die aber von der deutschen Presse weitgehend verschwiegen wurden.

Nur wer die kurdische Frage seit Jahren beharrlich ignoriert, kann jetzt von einem Kalkül der PKK auf „neue türkische Repressionen“ schwafeln. Diese Repressionen finden permanent statt. Morde von Militär und Dorfschützern an Zivilisten, hunderte Militäroperationen, chemische Waffen gegen Guerillakämpfer, Checkpoints im ganzen Land, Verschleppungen und Folterungen Oppositioneller, Tränengas und scharfe Schüsse gegen Demonstranten, verbrannte Wälder, Zeitungsverbote, Prozesse gegen Journalisten und Musiker wegen „Beleidigung des Türkentums“. All das gehört zur Realität in den kurdischen Landesteilen, doch fast nichts davon findet Eingang in die deutsche Presse.



Einseitige Quellen

Agenturmeldungen in den Randspalten der Zeitungen vermerken mitunter getötete Soldaten und Guerillakämpfer. Dabei werden nur die Angaben der offiziellen türkische Seite berücksichtigt, die von der der HPG-Guerilla regelmäßig im Internet veröffentlichten Berichte über Gefechte und Opfer finden keine Erwähnung. Indem über fast 400 türkische Militäroperationen zwischen Januar und September geschwiegen wird, kann durch die plötzliche Meldung eines einzelnen Gefechts suggeriert werden, die Guerilla habe ihre Angriffe erheblich gesteigert.

Mit Ausnahme der marxistischen Tageszeitung „jungen Welt“ haben alle deutschen Medien im Falle des Gefechts vom 20.Oktober, bei dem acht türkische Soldaten in Kriegsgefangenschaft gerieten, unkritisch die Darstellung des türkischen Militärs übernommen. „Allein am vorvergangenen Sonntag starben zwölf türkische Soldaten beim Überfall eines PKK-Stroßtrupps, der vom Süden her über die Grenze eingedrungen war“, heißt es im Spiegel. (Kurdische Katzen, 29.10.2007) Der Kommandantenrat der kurdischen Volksverteidigungskräfte HPG erklärte dagegen, die türkische Armee habe im Gebiet Oremar in der Provinz Hakkari eine Probeoffensive nach Südkurdistan gestartet, die von der Guerilla zurückgeschlagen wurde. Dabei seien 35 Soldaten getötet wurden. (Presseerklärung der HPG vom 21.und 22. Oktober 2007 auf www.HPG-online.com).



Ausländerextremismus“

Tendenziös war auch die Berichterstattung über die antikurdischen Demonstrationen und anschließenden Übergriffe türkischer Nationalisten und Faschisten auf kurdische Bürger und ihre Vereine in Deutschland Ende Oktober. „Tausende Menschen haben am Wochenende in Baden-Württemberg gegen Terror und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK demonstriert“, meldet der Sender SWR in der Druckfassung seiner Nachrichten. „In Stuttgart kamen am Sonntag laut Polizei rund 2000 Türken zusammen. Am Vortag waren in der Landeshauptstadt etwa 600 Kurden auf die Straße gegangen.“ (SWR 4.November 2007). Glaubt man der Eintopfküche des SWR, dann hatten die kurdischen Demonstranten am Samstag und die türkischen am Sonntag fast das gleiche Ziel. In Wirklichkeit demonstrierten die türkischen Gruppierungen für einen militärischen Überfall auf Südkurdistan, während sich die Kurden gegen einen solchen Angriff wandten.

Im Vorfeld kurdischer Demonstrationen malte nicht nur die Boulevardpresse das Bild vom kurdischen Krawallmacher an die Wand. „Es gibt Hinweise, dass PKK-Kämpfer die Gelegenheit nutzen wollen, um die Machtverhältnisse auf Berlins Straßen wieder gerade zu rücken. Koste es, was es wolle“, heißt es in einem Artikel von A. Joeres und J. Schindler in der sozialdemokratischen Frankfurter Rundschau anlässlich einer geplanten kurdischen Kundgebung gegen die vorangegangenen Angriffe der Grauen Wölfe (Aufgehetzt, FR 3.11.2007). Die Kundgebung in Berlin-Neukölln verlief übrigens – wie auch in anderen Städten – völlig friedlich.

Häufig findet in der Berichterstattung eine unzulässige Gleichsetzung von Opfern und Tätern, PKK-Anhängern und Grauen Wölfen statt. Die einigende Klammer ist dann „Ausländerextremismus“. „Niedrige Gewaltschwelle, getarnte Strukturen: Die Konfliktparteien: PKK gegen Graue Wölfe“, ist beispielsweise ein Beitrag von Andreas Poulakos für den Westdeutschen Rundfunk in der Onlinefassung überschrieben:(WDR.de, 02.11.2007).

Kurden gegen Graue Wölfe: 18 Polizisten in Berlin verletzt“ meldete die Onlineausgabe des Nachrichtensenders N24 nach den Straßenschlachten in Berlin-Kreuzberg. Während in der Meldung korrekterweise „türkische nationalistische Gruppierungen mit Nähe unter anderen zu den Grauen Wölfen“ als Urheber der Gewalt benannt werden, suggeriert die Überschrift, die Kurden seien die Angreifer gewesen. (N24.de 29.Oktober 2007). Welcher Journalist kämpfe auf die Idee, etwas einen Artikel über die rassistische Hetzjagd in der sächsischen Kleinstadt Mügeln mit „Inder gegen Neonazis“ zu betiteln?



Lösung ohne die PKK?

Auffällig ist, dass auch scheinbar „wohlwollende“ Autoren, die grundsätzlich eine Unterdrückung der Kurden in der Türkei zur Kenntnis nehmen, eine Lösung ohne die PKK suchen. So fordert Kai Strittmatter in der Süddeutschen Zeitung von der türkischen Regierung, das Kurdenproblem „an der Wurzel zu packen“ und nicht „einzig als Sicherheitsanliegen zu definieren“. Doch weiter schreibt er: „Die PKK trocknet man aus mit einer Politik, die den Kurden Würde, Identität und vor allem die Entwicklung ihrer Wirtschaft verspricht“ (Türkische Angst, 31.10.2007). Was aber fordert die PKK seit Jahren anderes, als „Würde und Identität“ für die Kurden. Dies zu erkennen verhindert die ideologische Verblendung Strittmatters, für den die PKK ein „Terrortrupp“ bleibt – Beweise für dessen angeblich „perfiden Anschläge“ bleibt der Autor schuldig.

Wäre es wohl dem Journalisten einer liberalen Tageszeitung in den 80er Jahren eingefallen, dem südafrikanischen Rassistenregime eine Lockerung der Apartheid vorzuschlagen, um den ANC „auszutrocknen“? Eine politische Lösung bedeutete damals noch die Einbeziehung beider Parteien. Das hat sich nach dem Ende der Blockkonfrontation grundlegend geändert. Nur dem Westen genehme Bewegungen werden als Vertreter ihrer Völker anerkannt. Während der irakische „Präsident“ und Führer der mit den USA verbündeten Patriotischen Union Kurdistans Jalal Talabani mit Diplomatenpässen durch die Welt jettet und dabei kurdische Interessen ausverkauft, bleibt Abdullah Öcalan auf Imrali isoliert und die PKK auf den Terrorlisten von USA und EU, weil sie nicht bereit ist, ihre Unabhängigkeit aufzugeben. Ein ähnliches Schicksal erleidet die von einer Mehrheit der Palästinenser gewählte Hamas, die als „terroristische Organisation“ ausgegrenzt wird, während Mahmut Abbas und seine Fatah-Warlords sich in Annapolis als Hilfssheriffs des israelische Besatzungsregimes anbieten.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker beinhaltet auch das Recht, seine eigene politische Führung und Vertretung zu bestimmen. Doch dieser demokratische Grundsatz ist in Washington, Brüssel und Berlin ebenso in Vergessenheit geraten, wie in den Redaktionsstuben von SZ, Welt und taz.

aus: Kurdistan Report Nr. 135, Januar/Februar 2008