junge Welt 18.02.2008 / Ausland / Seite 6


Schwarze Fahnen für Öcalan

EU-weite Großdemonstration in Strasbourg zum neunten Jahrestag der Verschleppung des kurdischen Politikers. Streiks und Proteste im Südosten der Türkei

Von Nick Brauns und Gloria Fernandez

Vor neun Jahren erschütterte eine zuvor nicht für möglich gehaltene Entführung die kurdischen Gemeinden in aller Welt. Abdullah Öcalan, Gründer und Vorsitzender der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), war nach sechswöchiger Odyssee durch Europa in Kenia untergekommen. Von dort wurde er am 15. Februar, als er die griechische Botschaft verließ, in die Türkei verschleppt und im Anschluß –gefesselt und mit verbundenen Augen – öffentlich vorgeführt, zwei türkische Nationalflaggen im Rücken. Zunächst von einem Militärgericht zum Tode verurteilt wurde die Strafe unter internationalem Druck in lebenslänglich umgewandelt. Bis heute sitzt der ehemalige Guerillaführer im Ein-Mann-Gefängnis der Insel Imrali im Marmara-Meer isoliert ein. Sein Gesundheitszustand gab mehrfach Anlaß zu Besorgnis.

Der 15. Februar wird in Kurdistan vielfach auch »Schwarzer Tag« genannt. Und er wird international mit Protesten begangen. So erlebte das französische Strasbourg fast auf den Tag genau neun Jahre nach dem spektakulären Komplott durch Geheimdienste der Türkei, der USA und Israels gegen die kurdische Freiheitsbewegung eine Großdemonstration. »Êdî Bese!« – »Es reicht!« – unter diesem Motto demonstrierten mehr als 30000 Kurden vor allem aus Deutschland, Belgien und den Niederlagen am Standort sowohl des EU-Parlaments wie des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Angriffe der türkischen Armee auf kurdische Freiheitskämpfer und für die Freilassung von Öcalan.

»Wir verurteilen die Tatsache, daß auch die Europäische Union und die Staaten Europas der Türkei bei der Verschleppung Öcalans geholfen haben«, erklärte Ahmet Gülabi Dere vom Kurdischen Nationalkongreß. Kein EU-Land war bereit gewesen, dem zunächst im September 1998 nach Rom gereisten PKK-Vorsitzenden Asyl zu gewähren – und so einen gewichtigen Beitrag zur Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts zu leisten. Die Demonstranten forderten das Antifolterkomitee des Europarates CPT auf, endlich die Untersuchungsergebnisse einer Ärztedelegation öffentlich zu machen, die im Frühjahr 2007 den von Öcalans Rechtsanwälten erhobenen Vorwürfen einer systematischen Schwermetallvergiftung ihres Mandanten nachging.

In der Türkei waren zahlreiche Kurden bereits am Freitag aus Anlaß des Jahrestages der Öcalan-Verschleppung in einen Streik getreten. So blieben in der Millionenstadt Diyarbakir im Südosten der Türkei 90 Prozent der Läden geschlossen. Vor der Zentrale der prokurdischen Partei für eine Demokratische Gesellschaft (DTP) wurde demonstrativ eine schwarze Fahne aufgezogen. Spezialeinheiten der Polizei gingen in mehreren Städten mit Tränengas, Panzerwagen und scharfen Schüssen gegen spontane Demonstrationen vor.

In Cizre nahe der syrischen Grenze wurde ein 16jähriger junger Mann von einem Polizeipanzer überrollt und getötet. Als daraufhin zahlreiche Menschen auf die Straßen strömten, eröffnete die Polizei das Feuer und verletzte zwei Personen. Auch in Hakkari wurde ein Demonstrant durch einen Kopfschuß schwer verletzt und 61 Personen festgenommen. Aus Protest gegen die Polizeiübergriffe blieben auch am Wochenende zahlreiche Läden geschlossen oder wurden nur nach Drohungen der Polizei geöffnet.


junge Welt 19.02.2008 / Ausland / Seite 7


Frühjahrsoffensive gegen PKK

Israel und USA unterstützen Türkei mit Aufklärung und diplomatischem Druck

Von Nick Brauns

Die türkische Armee bereitet sich auf eine großangelegte Bodenoperation gegen Guerillakämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans PKK in der Türkei und im Nordirak vor. Die Frühjahrsoffensive soll der abschließende Schlag nach einer Reihe von Luftangriffen auf mutmaßliche Guerillastellungen sein und die Präsenz der PKK im Nordirak beenden, meldete die als regierungsnah geltende Tageszeitung Zaman am Montag. PKK-Sprecher bestätigten gegenüber junge Welt, daß sie mit einer Großoffensive der türkischen Armee zu Frühjahrsbeginn rechnen.

Entlang der türkisch-irakischen Grenze sind bereits rund 50000 Soldaten stationiert. Zur Vorbereitung ihrer für Mitte März angesetzten Frühjahrsoffensive hat die türkische Armee neue Militärstützpunkte in den Bergen entlang der irakischen und iranischen Grenze errichtet. Diese sollen mit Landeplätzen für Kampfhubschrauber, Thermalkameras zur Bewegungsmeldung sowie Artillerie ausgestattet werden. Spezialeinheiten der türkischen Armee trainieren zur Zeit die Erstürmung von PKK-Stützpunkten

Eine entscheidende Rolle sollen unbemannte Aufklärungsdrohnen spielen, die von Israel zur Verfügung gestellt wurden. Eine Reihe dieser von israelischen Experten betriebenen Heron-Kleinflugzeuge sind bereits auf dem Luftwaffenstützpunkt bei der ostanatolischen Stadt Batman stationiert; kamen vor den Luftangriffen auf nordirakische Ziele in den vergangenen Wochen zum Einsatz. Gleichzeitig mit dem Einmarsch von Bodentruppen in den Nordirak und Operationen an der türkisch-iranischen Grenze soll in den kurdischen Provinzen Tunceli, Bingöl, Siirt und Diyarbakir innerhalb der Türkei eine zweite Front gegen die Guerilla formiert werden.

Während die türkische Armee mit Hilfe der israelischen Aufklärung den militärischen Teil der Operation gegen die PKK übernimmt, wollen die USA der kurdischen Freiheitsbewegung in Europa das Wasser abgraben. Dazu soll der diplomatische Druck auf Dänemark erhöht werden, um den von dort sendenden kurdischen Satellitensender Roj TV zu schließen. »Wir sind der Auffassung, das Roj TV eine Front­organisation für terroristische Aktivitäten und ein Propagandainstrument der PKK ist«, erklärte Frank Urbancic Jr., stellvertretender Koordinator für die Terrorismusbekämpfung beim US-Außenministerium, zum Abschluß einer zweiwöchigen Europareise gegenüber Vertretern des türkischen Innen- und Justizministeriums in Ankara.




junge Welt 22.02.2008 / Ausland / Seite 6


Mit Bodentruppen in den Nordirak

Kurdische Quellen berichten vom Beginn der »Frühjahrsoffensive« durch Armee und Luftwaffe der Türkei

Von Nick Brauns

In der Nacht zum Donnerstag begannen Luftangriffe auf mutmaßliche Stellungen von Guerillakämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den Kandil-Bergen im irakisch-iranischen Grenzgebiet. Auch Ziele nahe der Stadt Raniya und weitere Gebiete in der Provinz Sulaimaniya seien bombardiert worden, meldete die Nachrichtenagentur der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Bewohner der umliegenden Dörfer seien vor den tief fliegenden Kampfflugzeugen aus ihren Häusern geflohen.

Mit schwerer Artillerie beschoß die türkische Armee zudem Ziele in der abgelegenen Bergregion Hakurk. »Über Opfer wissen wir nichts«, erklärte der Sprecher der zur kurdischen Regionalregierung gehörenden Peschmerga-Miliz Jabbar Yawar. Von Sirnak und Hakkari aus, kurdische Provinzen in der Türkei, überschritten zudem Kampftruppen die Grenze zum Nord­irak, meldete die Nachrichtenagentur ANF. Offenbar sei die vor zwei Tagen vom türkischen Außenminister Ali Babacan als »Option« angekündigte Bodenoffensive nunmehr begonnen worden. Das Grenzgebiet wurde für Zivilisten gesperrt. In der Region wurden kurdische Dorfschützer mit guten Ortskenntnissen zur Teilnahme an der Operation rekrutiert.

Zuvor hatte das Hauptquartier der aus der PKK hervorgegangenen kurdischen Volksverteidigungskräfte (HPG) diese mit dem Staat kollaborierenden Milizen vor einer Beteiligung an Militäroperationen gewarnt. »In den letzten Jahren haben wir darauf geachtet, keine Dorfschützer anzugreifen. Aber wenn sie in dieser Zeit an Operationen teilnehmen, werden sie zum Ziel. Wir wollen nicht, daß Dorfschützer sterben und ihre Angehörigen leiden. Aber wir wollen auch deutlich machen, daß eine Beteiligung an den Operationen hart bestraft wird.« Eine Bodenoperation bedeute den Tod von Tausenden Soldaten, so die HPG weiter.

Seit Mitte Dezember hat die türkische Luftwaffe fünf Angriffswellen auf Ziele in Nordirak geflogen. Tausende Zivilisten haben ihre Dörfer verlassen, während die PKK-Guerilla nur geringe Verluste meldete. Die Angriffsziele werden der Türkei von US-Spionageflugzeugen geliefert. Zum Einsatz kommen auch von israelischen Spezialisten betriebene Aufklärungsdrohnen.



junge Welt 23.02.2008 / Ausland / Seite 2


Einmarsch mit 10000 Soldaten

Türkische Großoffensive gegen den Nordirak. Luftangriffe auf kurdische Dörfer. Informationen von der US-Armee. Rückzug der PKK-Guerilla in den Kaukasus?

Von Nick Brauns

Die Armee der Türkei ist am Donnerstag abend mit rund 10000 Soldaten etwa zehn Kilometer weit in den Nordirak eingedrungen. Die Intervention auf fremdes Territorium wurde am Freitag vom türkischen Generalstab bestätigt. Die Bodenoffensive werde beendet, »sobald die geplanten Ziele erreicht sind«, hieß es in der Erklärung auf der Website der Streitkräfte. Das Militär wolle verhindern, daß der Nordirak zu einem »Rückzugsgebiet für Terroristen« werde – gemeint ist die Guerilla der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans). Das Militär werde »darauf achten, keine Zivilpersonen in Mitleidenschaft zu ziehen«.

Am Freitag meldeten irakisch-kurdische Peschmerga den Beschuß mehrerer, bis zu 30 Kilometer von der Grenze entfernt liegender Dörfer. Bei Luftangriffen seien vier Brücken in der irakischen Provinz Dohuk zerstört worden. Daran sollen laut Angaben der PKK-Guerilla auch israelische Kampfflugzeuge beteiligt gewesen sein. Über den Ausgang von Gefechten zwischen PKK und türkischer Armee nach dem Einmarsch lagen bei jW-Redaktionsschluß keine näheren Informationen vor.

Am Donnerstag abend hatten Peshmerga-Milizen der kurdischen Regionalregierung im Nordirak türkische Panzer am Verlassen eines nordöstlich der Stadt Dohuk auf irakischem Territorium bestehenden türkischen Militärstützpunktes gehindert. Das meldete die Patriotische Union Kurdistans (PUK). »Es handelt sich hier um eine Frage der Souveränität und der Einheit des Irak«, erklärte Falah Bakir für die Regionalregierung und appellierte an die USA als Besatzungsmacht im Irak, die »unnormalen Bewegungen« der Türkei zu stoppen. Matthew Bryza, Staatssekretär im US-Außenministerium, erklärte, der Einmarsch der Türkei sei »nicht die beste Nachricht«. Die USA hätten eng mit der türkischen Regierung zusammengearbeitet, um eine Invasion zu verhindern. Man habe Informationen über Stützpunkte der kurdischen PKK-Rebellen geliefert, um »gezielte Luftangriffe« zu ermöglichen.

Offenbar haben zahlreiche PKK-Kämpfer in den vergangenen Monaten ihre Stützpunkte im Irak verlassen und sind in Richtung Kaukasus gezogen. Am Freitag meldeten türkische und aserbaidschanische Medien, daß die kurdische Guerilla in den von armenischen Truppen seit Anfang der neunziger Jahre besetzten, offiziell zu Aserbaidschan gehörenden Gebieten Fuzuli und Lachin aktiv sei. Der israelische Geheimdienst habe diese Informationen bestätigt, so die aserbaidschannische Presseagentur APA. Während die armenische Regierung derartige Berichte dementierte, zeigte sich der Sprecher der US-Botschaft in Baku, Jonathan Henik, gegenüber »Radio Free Europe –Radio Liberty« besorgt. Es könnte zu Anschlägen der PKK-Guerilla auf die Ölpipeline von Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan kommen. In Armenien und Aserbaidschan leben etwa 200000 Kurden.



junge Welt 25.02.2008 / Titel / Seite 1


Krieg in Kurdistan

USA unterstützen türkischen Einmarsch im Nordirak. Parlament in Erbil vermutet Schwächung der kurdischen Regionalregierung als Ziel der Aggression

Von Nick Brauns

Die am Donnerstag in den kurdischen Nordirak einmarschierte türkische Armee stieß am Wochenende auf den Widerstand von Guerillakämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Während der Generalstab in Ankara mitteilte, bei den Kämpfen seien bis Sonntag Nachmittag 112 PKK-Kämpfer und 15 Soldaten ums Leben gekommen, nannte PKK-Sprecher Ahmed Deniz 24 getötete türkische Soldaten, davon zwei auf türkischem Gebiet. Bislang seien lediglich zwei Guerillakämpfer gefallen. Die Guerilla habe die Leichen von 15 türkischen Soldaten im Gebiet des Flusses Zap geborgen und werde deren Identität öffentlich machen. Bei Gefechten nahe der Grenzstadt El Amadijah schoß die Guerilla nach eigenen Angaben am Samstag einen türkischen Cobra-Kampfhubschrauber ab. Unter Berufung auf Militärkreise meldete der Fernsehsender CNN-Türk, die Operationen im Nordirak würden etwa zwei Wochen dauern. Türkische Fernsehsender zeigten Kommandoeinheiten in Winterkampfanzügen im Einsatz.

Der Oberkommandierende der kurdischen Volksverteidigungskräfte HPG, Bahoz Erdal, rief die kurdische Bevölkerung in der Türkei zum Aufstand. »Wenn sie uns zerstören wollen, dann müssen unsere jungen Leute die Städte der Türkei unbewohnbar machen.« An den Angriffen im Nordirak seien US-amerikanische Spionageflugzeuge beteiligt. »Sie versorgen die türkische Armee mit Informationen über unsere Stellungen, und dann bombardieren türkische Kriegsflugzeuge das Gebiet«, so Bahoz Erdal. US-Verteidigungsminister Robert Gates rief die türkische Armee zu einem zügigen Rückzug aus dem Irak auf, sobald die »Mission erfüllt« sei. Außenministerin Condoleezza Rice hatte bereits am Freitag ihre Solidarität mit dem türkischen Vorgehen erklärte und die PKK den gemeinsamen Feind der USA und der Türkei genannt. Die US-Besatzungstruppen verlegten am Sonntag 70 M-1-Abrahams-Kampfpanzer sowie Schützenpanzer von Mosul in die Provinz Dohuk an der türkischen Grenze.

Die kurdische Regionalregierung in der nordirakischen Autonomiezone hatte sich am Samstag für neutral erklärt. »Wir werden keine Kriegspartei sein im Kampf zwischen der Türkei und der PKK. Nur wenn die Türken Bürger unseres Staates oder bewohnte Gebiete angreifen, dann werden wir erbitterten Widerstand leisten«, erklärte der kurdische Präsident Masud Barzani. Am Sonntag forderte Barzani auf einer Pressekonferenz am Regierungssitz Erbil US-Präsident George W. Bush auf einzuschreiten, weil die türkische Armee auch die Infrastruktur des Autonomiegebietes zerstöre.

In einer Resolution des kurdischen Parlaments heißt es, die türkischen Rechtfertigungen für die Bodenoffensive seien vorgeschoben. In Wirklichkeit gehe es der Türkei um die Destabilisierung des »demokratischen Prozesses« in der Region Kurdistan. Auch Autoren der unabhängigen Website Kurdishmedia mutmaßen, das tatsächliche Ziel von USA und Türkei sei die Schwächung der kurdischen Regionalregierung. Diese solle auf die Umsetzung des Artikels 140 der irakischen Verfassung verzichten, der die Angliederung weiterer kurdisch besiedelter Gebiete des Irak inklusive der Erdölstadt Kirkuk an das Autonomiegebiet regelt. Eine bereits für Dezember 2007 geplante Volksabstimmung war auf Druck der US-Besatzer auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Eine solche Schwächung der kurdischen Regierung war neben der Bekämpfung der PKK die Hauptforderung Ankaras, um im Gegenzug die aggressive Politik der USA und Israels gegen den Iran zu unterstützen.


junge Welt 26.02.2008 / Ausland / Seite 6


Invasion Katastrophe für türkische Armee

Ankara. Kommandoeinheiten der türkischen Armee würden mit Hubschraubern zum Hauptquartier der Arbeiterpartei Kurdistans PKK in den Kandilbergen rund 200 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt geflogen. Das behaupteten türkische Medien am Montag. Nach türkischen Angaben sind bei den Kämpfen seit Donnerstag 112 PKK- Mitglieder und 15 Soldaten getötet worden. Entgegen solchen Erfolgsmeldungen nannte der Oberkommandierende der PKK-Guerilla, Dr. Bahoz Erdal, den am Donnerstag begonnenen Militäreinmarsch in den Nordirak eine Katastrophe für die türkische Armee. Bislang seien mindestens 81 türkische Soldaten ums Leben gekommen. Dutzende Soldaten seien erfroren und Hunderte verletzt. Aufgrund des Widerstandes der Guerilla sei die Armee an mehreren Punkten gezwungen gewesen, ihre Angriffe einzustellen.

Die irakische Regierung hat die Türkei aufgefordert, ihre Militäreinheiten aus der Region Kurdistan zurückzuziehen. Der Angriff verletze die Souveränität des Irak und stelle eine Bedrohung der Stabilität in der Region dar. Auch der schiitische Prediger Muktada al-Sadr forderte die türkische Regierung auf, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen. (jW)




junge Welt 27.02.2008 / Ausland / Seite 2


Heftige Gefechte im Nordirak

Bagdader Marionettenregierung fordert Rückzug der türkischen Truppen

Von Nick Brauns

Die von den USA eingesetzte irakische Regierung hat den Einmarsch der türkischen Truppen in den Norden des Landes am Dienstag verurteilt und den sofortigen Rückzug der Soldaten gefordert. Regierungssprecher Ali al-Dabbagh beklagte eine »Verletzung der Souveränität des Irak«. Er forderte die türkische Regierung auf, einen Dialog mit dem Irak zu beginnen. Bagdad sei bereit, in dreiseitigen Gesprächen mit der Türkei und den USA darüber zu sprechen, wie verhindert werden könne, daß die PKK den Nordirak weiter für Angriffe in der Türkei nutze. Die einseitige Militäraktion sei aber inakzeptabel.

Auch am Dienstag kam es wieder zu heftigen Gefechten zwischen der türkischen Armee und Guerillakämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans PKK. In der gebirgigen Hakurk-Region nahe der iranischen Grenze beschossen Kampfhubschrauber mutmaßliche Guerillastellungen. Während die Armee nach eigenen Angaben seit Sonntag nacht offenbar erfolglos versucht, einen als zentral angesehen Stützpunkt der PKK nahe der türkische Grenze zu erobern, gingen Guerillakämpfer am Großen Zab-Fluß in der Region Ahmadiya ihrerseits zum Angriff auf die Invasoren über.

Bei den Aktionen der türkischen Armee im Nordirak kommt in großer Menge Militärtechnik aus deutscher Lieferung zum Einsatz. Das beweisen Aufnahmen im türkischen Fernsehen. Zu sehen sind Kampfpanzer vom Typ Leopard I, Kolonnen von Unimog-LKW der Firma Mercedes und Kommandosoldaten mit den in der Türkei in Lizenz produzierten G3-Gewehren der Firma Heckler&Koch.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Dienstag wirtschaftliche und soziale »Reformen« in den kurdischen Landesteilen der Türkei angekündigt, um der PKK die Unterstützung der Bevölkerung zu entziehen. Insbesondere soll das Südostanatolienprojekt GAP innerhalb der nächsten fünf Jahre abgeschlossen sein. Da jedoch durch dieses Staudammprojekt an Euphrat und Tigris Hunderte Dörfer überschwemmt werden, zielen die angekündigten Reformen keineswegs auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen der betroffenen Menschen sondern auf weitere Vertreibungen.

Bereits am Montag protestierten Zehntausende auf einer Kundgebung der Partei für eine Demokratische Gesellschaft (DTP) in der südostanatolischen Metropole Diyarbakir gegen den Krieg. Die lange Jahre inhaftierte ehemalige Parlamentsabgeordnete Leyla Zana rief zum Widerstand gegen die »Besatzung« auf und dankte der Bevölkerung im Nordirak, die mehrfach durch Menschenketten ein Ausfahren türkischer Panzer verhindert hatte. In den Abendstunden kam es zu Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Auch in Istanbul und Izmir setzten Jugendliche nachts Autos, Busse und ein Büro der Regierungspartei AKP in Brand.



junge Welt 29.02.2008 / Inland / Seite 4


»Erdogan – Mörder«

Deutschlandweite Proteste gegen türkischen Überfall auf Nordirak

Von Julius Kaiser

Gegen den Einmarsch der türkischen Armee in den Nordirak haben in den letzten Tagen zahlreiche Kurden in Deutschland auf Demonstrationen, Veranstaltungen und Pressekonferenzen protestiert. Rund 1500 Menschen, darunter auch Mitglieder deutscher und türkischer sozialistischer und antifaschistischer Vereinigungen, zogen am Mittwochabend in einer kämpferischen Demonstration durch Berlin-Kreuzberg. Fernsehaufnahmen aus den Einmarschgebieten belegten die Verwendung von Militärtechnik aus deutscher Produktion, erklärte Murat Çakir vom »Europäischen Friedensrat Türkei« bei der Auftaktkundgebung am Kottbusser Tor und forderte die europäischen Länder auf, sich mit politischen und wirtschaftlichen Druckmitteln für die Beendigung des völkerrechtswidrigen Überfalls einzusetzen.

Entlang der Strecke gab es immer wieder Solidaritätsbekundungen von Anwohnern mit aus den Fenstern geschwenkten kurdischen Fahnen. Zahlreiche Demonstranten riefen trotz der Drohung der Polizei, die Demonstra-tion zu stoppen, Parolen zugunsten des in der Türkei inhaftierten kurdischen Politikers Abdullah Öcalan.

Schließlich sperrten behelmte Polizisten die Straße vor dem angemeldeten Ort der Abschlußkundgebung. Weil sie den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Sprechchören als »Mörder« bezeichnet hatten, dürften die Kriegsgegner nicht in Sichtweite der Türkischen Botschaft in der Rungestraße demonstrieren, erklärte ein Einsatzleiter der Polizei.

Der Pressesprecher des Kurdistan-Solidaritätskomitees und jW-Autor Nick Brauns erklärte über Lautsprecher, Erdogan trage die politische Verantwortung für das Morden der türkischen Armee in Kurdistan. Daher sei die Parole »Erdogan – Mörder« in seinen Augen eine legitime Meinungsäußerung. Als die Polizei daraufhin den Redner wegen »Beleidigung« des türkischen Ministerpräsidenten festnahm, riefen zahlreiche kurdische Jugendliche »Deutschland – Terrorist«.

Das Kurdistan-Solidaritätskomitee zeigte sich zuversichtlich, daß eine Anklage wegen Beleidigung Erdogans ebenso scheitern wird wie ähnliche Verfahren gegen Kriegsgegner, die nach dem Überfall der USA auf den Irak aufgrund der Parole »Rumsfeld – Massenmörder« wegen angeblicher Beleidigung des US-Verteidigungsministers festgenommen worden waren. In München legten Kurden am Mittwoch als Zeichen der Trauer einen schwarzen Kranz vor dem türkischen Konsulat nieder. Kundgebungen gab es auch in Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Dortmund, Essen und Duisburg.



junge Welt 01.03.2008 / Ausland / Seite 1


Sieg der kurdischen Guerilla

Türkische Armee auf dem Rückzug aus dem Nordirak. Kriegsziele nicht erreicht

Von Nick Brauns

Geschlagen hat die türkische Armee eine Woche nach ihrem Einmarsch in den Nord­irak den Rückzug angetreten. Zahlreiche Militärfahrzeuge überquerten Freitag morgen die Grenze zur Türkei. Die von der Armeeführung verkündeten Ziele, die Präsenz der Arbeiterpartei Kurdistans PKK im Nordirak zu beenden und deren Führung auszuschalten, sind am Widerstand der Guerilla sowie dem Winterwetter gescheitert.

Insbesondere der Abschuß eines Kampfhubschraubers sowie die pausenlosen Schläge der Guerilla gegen die Bodentruppen hätten dazu geführt, daß die türkische Armee ihre Angriffe einstellen mußte, bewertete der von der Türkei meistgesuchte PKK-Führungskader, Murat Karayilan, das Scheitern der türkischen Invasion im kurdischen Fernsehsender Roj TV. »Sie haben Verluste gehabt, die Moral liegt am Boden«. Die türkische Armee sei hinter der Grenze kaum zwei Kilometer vorwärtsgekommen. Von über 100 getöteten türkischen Soldaten seien viele im Schnee erfroren. Auf ihrer Website sprach die Guerilla von fünf während des Krieges gefallenen Guerillakämpfern.

Der türkische Generalstab bezifferte die eigenen Verluste in einer Erklärung zum Abschluß der Bodenoffensive mit 27, während 240 Guerillakämpfer getötet und deren Camps zerstört worden seien. Der PKK sei gezeigt worden, »daß der Nordirak für sie keine sichere Region ist«. Die Armeeführung behielt sich weitere grenzüberschreitende Operationen ausdrücklich vor. Beobachter rechnen daher mit einer neuen Bodenoffensive gegen die PKK nach der Schneeschmelze. Die regierungsnahe türkische Tageszeitung Zaman meldete am Freitag unter Berufung auf Sicherheitskreise, die Armee wolle elf Militärstützpunkte auf irakischem Territorium errichten, um durch eine Pufferzone das Einsickern von PKK-Kämpfern in die Türkei zu verhindern. Während der letzten Tage hatte die Bevölkerung der irakisch-kurdischen Kleinstadt Bermerni durch Menschenketten das Ausrücken von Kampfpanzern verhindert.