junge Welt 25.02.2008 / Politisches Buch / Seite 15


»Rückkehr der Subjekte«

Das Biographische Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale ist erschienen

Von Nick Brauns

Die Kommunistische Internationale (KI) wurde auf Initiative Lenins im März 1919 als Konsequenz auf das Scheitern der sozialdemokratischen Internationale im Weltkrieg gegründet. Auf den ersten vier Weltkongressen wurden entscheidende Leitsätze für kommunistische Strategie und Taktik wie die Einheitsfronttaktik zur Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse und der Kampf um Arbeiterregierungen als möglicher Übergang zur Diktatur des Proleta­riats ausgearbeitet. Doch schon der V. Weltkongreß im Sommer 1924 fand vor dem Hintergrund des Machtkampfes innerhalb der Sowjetunion um die Nachfolge Lenins statt. Die Kommunistische Internationale wurde zunehmend zu einer Plattform innersowjetischer Fraktionskämpfe. Die Aufgaben der Ende der 20er Jahre vollständig der Kontrolle des Exekutivkomitees in Moskau unterworfenen Komintern veränderten sich angesichts des von Stalin propagierten »Aufbaus des Sozialismus in einem Land« vom Schrittmacher der Weltrevolution zum Instrument sowjetischer Außenpolitik. Mitte der 30er Jahre gerieten auch zahlreiche Kominternfunktionäre in das Räderwerk der »Säuberungen«. Am 15. Mai 1943 beschloß das Exekutivkomitee die Selbstauflösung der Komintern. Damit solle der Welt bewiesen werden, daß sich der Kreml nicht »in das Leben anderer Staaten« einmischen wolle, begründete Stalin dieses Zugeständnis an die Westalliierten USA und Großbritannien im Rahmen der Anti-Hitler-Allianz.

Mammutarbeit

Übrig blieb von der einstigen Weltpartei ein beeindruckendes Archiv, dessenUrsprung noch in den ersten Fragebögen liegt, die beim Gründungskongreß 1919 an die Delegierten verteilt wurden. Das Archiv wuchs in den folgenden Jahren zu einem Papierkoloß mit den Personalunterlagen der leitenden Organe der Internationale sowie von 67 angeschlossenen Parteien an. Erst mit dem Ende der Sowjetunion 1990 wurden die gesammelten Kaderakten, die steile Kominternkarrieren ebenso wie das Schicksal zahlreicher Opfer des »großen Terrors« der 30er Jahre spiegelten, der Forschung zugänglich. In einer mehrjährigen Mammutarbeit hat eine deutsch-russische Wissenschaftlergruppe im Rahmen eines Forschungsprojektes der Universität Hannover die Erschließung der personenbezogenen Bestände des Kominternarchivs in Angriff genommen.

Das von Klaus Meschkat und Michael Buckmiller im Akademie Verlag herausgegebene »Biographische Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale« versammelt auf einer CD 15815 stichwortartige Biographien von Personen, die im Apparat der Komintern arbeiteten oder mit der Weltorganisation in Verbindung standen, darunter allein 3994 deutsche Funktionäre. 5991 KI-Mitarbeiter waren davor nicht einmal dem Namen nach bekannt. Auch zahlreiche Pseudonyme konnten geknackt werden. Wer Einzelbiographien in der Art des von Hermann Weber und Andreas Herbst verfaßten Handbuchs »Deutsche Kommunisten« erwartet, wird enttäuscht. Im KI-Handbuch versammelt sind die nackten Eckdaten, also Geburtsdatum und -ort, soziale Herkunft, erlernter Beruf, Nationalität und Staatsbürgerschaft, Partei- und Gewerkschaftsmitgliedschaften, Bildungsweg und Sprachkenntnisse, aber auch mögliche Parteistrafen. Die Heranziehung von Biographien zur quantitativen soziologischen Analyse ermöglichte in der historischen Kommunismusforschung die Einbeziehung der Akteure statt lediglich der Darstellung historischer Abläufe und Strukturen politischer Systeme. So lassen sich die gemeinsamen Merkmale des Werdegangs einer Gruppe von handelnden Personen der Geschichte durch ein zusammenfassendes Studium ihrer Lebensläufe erschließen. Möglich ist so in den Worten von Herausgeber Buckmiller eine »Rückkkehr der Subjekte« in die zuvor struktur- und apparatgeschichtlich verengte Geschichtsforschung.

Historisierung

Als Lesestoff ist das Handbuch nicht geeignet. Wer mehr über die politische Geschichte der KI erfahren will, sollte zu anderen Werken wie der leider schon lange vergriffenen »Geschichte der Kommunistischen Internationale« von Pierre Frank greifen. Und die CD selbst ist leider nicht sehr benutzerfreundlich gestaltet und sowohl im Layout als auch technisch verbesserungsbedürftig. Doch für die zukünftige Kominternforschung wird das »Biographische Handbuch« eine unverzichtbare Quelle sein.

Das Handbuch zur CD dokumentiert auf seinen fast 500 Seiten die Vorträge einer internationalen Tagung von Kommunismusforschern aus Rußland, der EU, Nord- und Südamerikas vom April 2004 (siehe jW vom 7. Mai 2004) in Hannover. Die Beiträge befassen sich unter anderem mit den Möglichkeiten und Grenzen von Kollektivbiographen, den Einzelbiographien der deutschen KI-Funktionäre Herbert Wehner und Ruth Fischer und der Rolle der Komintern während des »Großen Terrors«.

Wie lange die günstige Archivlage für solche Forschungen noch andauert, ist angesichts der politischen Entwicklungen in Rußland fraglich. »In Rußland hat wieder einmal eine administrative Reform begonnen. Und wenn eine Reform von oben beginnt, so darf man von ihr, wie die historische Erfahrung zeigt, nichts Gutes erwarten« warnt der Direktor des Russischen Staatsarchivs für sozialpolitische Geschichte, Kirill Anderson. »Nutzen Sie die Zeit, solange die schweren Zeiten noch nicht angebrochen sind und arbeiten Sie mehr im Archiv.« Somit ist Historisierung der Kominterngeschichte selbst historischen Prämissen unterworfen.

* Klaus Meschkat/Michael Buckmiller (Hg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale. Ein deutsch-russisches Forschungsprojekt. Akademie-Verlag, Berlin 2007, 486 Seiten, 59,80 Euro