Die kurdische Frage bleibt ein zentraler Sprengsatz im Mittleren Osten

Israel, die Türkei und die Kurden

Von Nick Brauns, Journalist und Historiker, Berlin

"Wenn unsere beiden Länder sich die Hand reichen, wird daraus eine starke Faust" (Izchak Mordechai, israelischer Verteidigungsminister über die Beziehungen Israels zur Türkei, Frankfurter Rundschau 9.9.1998)

Wenn über den kahlen Hängen der Kandilberge oder der zerklüfteten Felsenlandschaft des Zap-Flusses ein Kaulquappenförmiges Kleinflugzeug seinen Schatten wirft, herrscht höchster Alarm. Das Auftauchen dieser von israelischen Piloten ferngesteuerten Heron-Aufklärungsdrohnen ist ein sicheres Zeichen für eine drohende Angriffswelle türkischer Kampfbomber. Offiziell gelten die von Israel und den USA unterstützten türkischen Angriffe in Südkurdistan Stellungen der kurdischen Volksverteidigungskräfte HPG, doch getroffen wird vor allem zivile Infrastruktur wie Schulen, Brücken, Krankenhäuser und Ställe.

Dabei gab es nach dem Sturz Saddam Husseins durch die US-geführten Truppen 2003 innerhalb der kurdischen Befreiungsbewegung große Hoffnungen, in die Pläne der Sieger einbezogen zu werden. "So ist die US-amerikanische und israelische Haltung gegenüber den Kurden nicht nur von taktischer Natur, sondern gewinnt vielmehr zunehmend an strategischer Bedeutung", hieß es im Programm des Volkskongresses Kurdistan Kongra-Gel. "So werden die Kurden immer mehr als eine Kraft gesehen, der bei der Neustrukturierung des Mittleren Ostens eine herausragende Stellung zukommt. Deshalb gibt es Bestrebungen zur Vorbereitung der Kurden auf diese Rolle."

Tatsächlich unterstützte Israel bereits in den 60er und 70er Jahren die Peshmerga von Mullah Mustafa Barzani bei ihrem Kampf gegen die irakische Zentralregierung mit Geld und Waffen. Als die kurdischen Aufstände am Ende des Golfkrieges von 1991 durch die Truppen des Bagdader Regimes blutig niedergeschlagen wurden, appellierte der israelische Premierminister Shamir an US-Außenminister James Baker, die Kurden in Schutz zu nehmen. Dies betraf allerdings nur die von den Truppen Saddams Husseins massakrierten Kurden. Ihre Cousins und Cousinen aus der Türkei konnten sich keiner solchen Fürsprache aus Tel Aviv erfreuen.

Stattdessen hat Israel immer wieder eine strategische Partnerschaft mit der Türkei als prowestlichem, nichtarabischem Land im Nahen Osten gesucht, die spätestens ab den 90er Jahren zu Lasten der Kurden in der Türkei und ihrer Befreiungsbewegung ging. Die Türkei war am 28.März 1949 das erste muslimische Land, das den neu gegründeten Staat Israel diplomatisch anerkannte. Neun Jahre später, am 29. August 1958 schlossen Israels Premierminister David Ben Gurion und der türkische Premierminister Adnan Menderes den sogenannten Peripheriepakt gegen "sowjetischen Einfluss" und die Befreiungsbewegungen im Nahen Osten, der auch den Austausch von Geheimdienstinformationen und gegenseitige Militärunterstützung beinhaltete.

Strategische Militärallianz

Wirklich eng wurden die türkisch-israelischen Beziehungen in den 90er Jahren. Anlässlich eines Israel-Besuchs betonte der türkische Außenminister Hikmet Cetin im November 1993, dass es ein Ziel seiner Reise sei, Unterstützung im Kampf gegen die PKK zu gewinnen. Die beiden Staaten unterzeichneten einen Grundlagenvertrag, in dem der Gedanke eines weitreichenden Einvernehmens in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Sicherheit und Rüstungstechnologie enthalten war. Der israelische Präsident Ezer Weizman sicherte bei einem Gegenbesuch zwei Monate später in Ankara zu, dass Israel die Türkei bei der Terrorismusbekämpfung durch die Ausbildung türkischer Experten sowie dem Austausch von Geheimdienstinformationen unterstützen werde. Im November 1994 reiste eine 50-köpfige israelische Militärdelegation in die Türkei, um die türkische Armee im Kampf gegen die PKK zu beraten. In diesem Jahr begann auch die Lieferung von Nachtsichtgeräten der israelischen Firma Tamam Precision Instruments für türkische Cobra-Kampfhubschrauber in Wert von 11,6 Millionen Dollar. Neben der systematischen Zerstörung kurdischer Dörfer, die der Guerilla die Möglichkeit nahm, wie der Fisch im Wasser zu agieren, trugen insbesondere diese Nachtsichtgeräte dazu bei, dass sich das 1993 errungene militärische Gleichgewicht zwischen der PKK und der Armee in Kurdistan wieder zugunsten der türkischen Besatzer neigte.

Eigentliche Triebkraft des türkisch-israelischen Bündnisses sind auf türkischer Seite die Militärs. So begann die Blütezeit der "strategischen Militärallianz" 1996, obwohl damals die islamische und Israel-feindliche Refah-Partei mit Necmettin Erbakan den Ministerpräsident stellte. Am 23. Februar 1996 unterzeichneten beide Staaten ein Abkommen zur militärischen Zusammenarbeit. Darin enthalten sind der Austausch von Erfahrungen im Rahmen eines Sicherheitsforums für strategischen Dialog, Zugang zu den militärischen Anlagen des jeweils anderen Landes und Manöver im jeweils anderen Land. Von nun an können israelische F-16-Kampfflugzeuge über türkischem Territorium den Luftkrieg üben – und dabei zugleich Syrien und Iran ausspionieren. Im Gegenzug werden türkische Piloten in Israel in der elektronischen Kriegsführung ausgebildet. Das Abkommen zeigt schnell erste Auswirkungen auf die Kurden. Während ihrer 16-tägigen Luftkriegsoperation "Früchte des Zorns" gegen schiitische Widerstandsgruppen im Libanon bombardierte die israelische Luftwaffe im April 1996 auch ein PKK-Camp in der Bekaa-Ebene.

Im August 1996 folgte ein weiteres israelisch-türkisches Abkommen über Rüstungskooperation und im Dezember beauftragt der türkische Premierminister Necmettin Erbakan die staatliche Israelische Flugzeugindustrie mit der Modernisierung von 54 türkischen Phantom F-4E- sowie 48 F 5 Kampfflugzeugen. Die Kosten von 675 Millionen Dollar wurden der Türkei durch Kredite mehrer israelischer Privatbanken finanziert. Das Rüstungsabkommen beinhaltete in den folgenden Jahren unter anderem die Produktion von Boden-Luft-Raketen, die Lieferung von vier Frühwarnflugzeugen und die Produktion von Sturmgewehren in der Türkei sowie die gemeinsame Produktion des Anti-Radar-Marschflugkörpers. Seit 1994 kaufte der türkische Geheimdienst zudem über die Tarnfirma Hospro in Großbritannien für mehrere Million Dollar Waffen aus Israel, die an Konterguerillaeinheiten für ihre Morde an kurdischen Zivilisten geliefert wurden. Dies ist dem abschließenden Parlamentsbericht zum Sursuluk-Skandal zu entnehmen. Im Mai 2002 unterzeichnete die türkische Regierung ein Abkommen mit der staatlichen Israelischen Militärindustrie zur Modernisierung von 170 M-60A1 Kampfpanzern. Die auch bei den grenzüberschreitenden Operationen im Nordirak eingesetzten Panzer erhalten Nichtsichtgeräte und eine 120-mm-Merkava-Kanone. Im Juli desselben Jahres gewann Israel eine türkische Ausschreibung für die Installation von Systemen der elektronischen Kriegsführung. Die Türkei finanzierte einen Teil dieser Waffenkäufe mit Wasserlieferungen. So vereinbarten Israels Premier Ariel Scharon und der türkische Energieminister Zeki Cakan im August 2002 die jährliche Lieferung von 50 Millionen Kubikmeter Frischwasser aus dem Fluß Manavgat bei Antalya an Israel. Das Abkommen läuft über 20 Jahre. Ein Kubikmeter Wasser wird mit einem Dollar Rüstungsgütern vergolten. Im Rahmen des Süd-Ost-Anatolienprojektes GAP führt Israel auch eigene landwirtschaftliche Projekte in Kurdistan durch.

Der Mossad auf Öcalans Spur

Die israelisch-türkische Waffenbrüderschaft trug nicht nur zur Aufrüstung der Türkei auf Kosten der kurdischen Befreiungsbewegung bei, sondern richtete sich politisch direkt gegen die PKK. Der türkische Premierminister Mesud Yilmaz bestätigte 1996 einen in Zusammenarbeit mit dem Mossad organisierten aber gescheiterten Mordanschlag auf den Vorsitzenden der PKK, Abullah Öcalan, in Damaskus. Im Mai 1997 erklärte Premierminister Benjamin Netanyahu, dass die "Bedrohung durch den Terrorismus" die Türkei und Israel verbinde: "Die Türkei leidet unter den terroristischen Angriffen der PKK, und wir sehen keinen Unterschied zwischen dem Terrorismus der PKK und dem Terrorismus, der Israel herausfordert." Netanyahu sprach sich gegen einen eigenen kurdischen Staat aus und versicherte, ein Friedenvertrag zwischen Israel und Syrien könne solange nicht unterzeichnet werden, wie Damaskus die PKK unterstütze. Im September 1998 sprach Netanyahu von einer "zentralen Achse", die das "Fundament der Sicherheitsstrukturen in dieser Region" bilden werde. Die Türkei und Israels seien "natürliche Verbündete", deren Zusammenarbeit "die strategische Balance im Nahen Osten verändern" werde. Mit dieser Unterstützung im Rücken konnte Ankara seine Panzer an der Grenze zu Syrien aufmarschieren lassen und mit offenen Kriegsdrohungen am 9.September die Ausweisung Abdullah Öcalans aus seinem langjährigen Exil erzwingen.

Der Mossad nach Darstellung des ehemaligen Geheimagenten Victor Ostrovsky dem türkischen Geheimdienst MIT, dem PKK-Vorsitzenden bei seiner Flucht über Russland, Italien und Griechenland nach Kenia zu verfolgen, so dass Öcalan schließlich am 15.Februar 1999 in Nairobi gekidnappt und in die Türkei verschleppt werden konnte. Die Maschine mit dem Gefangenen an Bord musste zum Auftanken eine Zwischenlandung machen – vermutlich in Israel. Als kurdische Demonstranten vor der Israelischen Botschaft in Berlin-Grunewald gegen die Beihilfe Israels bei der Entführung Öcalans demonstrierten und einige von ihnen versuchten, in das Gebäude zu gelangen, eröffneten die wachhabenden Agenten das Feuer und töteten drei Kurdinnen und Kurden. In einem in der Geschichte des Geheimdienstes wohl einzigartigem Statement versicherte Mossadchef Efraim Halevi anschließend: "Ich möchte Ihnen allen sehr deutlich machen, dass wir nicht das Geringste mit der Festnahme von Abdullah Öcalan, dem Führer der PKK, zu tun haben." Dieser Wink galt offenbar den mit Israel verbündeten südkurdischen Parteien KDP und PUK, die trotz ihrer politischen Gegnerschaft zu Öcalan eine solche Auslieferung eines kurdischen Politikers an die Türkei als zutiefst illoyalen Akt empfanden.

Iran im Fokus

Nach dem Sturz Saddam Husseins durch die US-geführten Truppen im Frühjahr 2003 verschlechterten sich nicht nur die türkisch-amerikanischen Beziehungen schlagartig. Auch die Allianz mit Israel erfuhr eine Abkühlung. Schließlich war es ein offenes Geheimnis, dass zahlreiche israelische Geheimdienstagenten und Sicherheitsexperten – darunter auch viele israelische Kurden - in der Region Kurdistan aktiv wurden. Der bekannte US-Recherchejournalist Seymour Hersh deckte im Juni 2004 unter Berufung auf israelische Militärquellen im Magazin The New Yorker auf, wie israelische Sicherheitsexperten Peshmerga ausbildeten, um sie sowohl gegen den arabischen Widerstand als auch gegen Iran einzusetzen. "Israelische Geheimdienst- und Militäragenten operieren jetzt in aller Stille in Kurdistan, bilden kurdische Kommandoeinheiten aus und, äußerst wichtig aus israelischer Perspektive, führen geheime Operationen innerhalb der kurdischen Gebiete in Iran und Syrien aus." Als Reaktion auf die Unterstützung der irakischen Kurden durch die USA und Israel rückte die Türkei zu dieser Zeit näher an Syrien und den Iran, die kein Interesse an einer Stärkung der Kurden haben konnten.

Doch im Herbst 2007 erfolgte ausgehend von den USA wieder ein Umschwung in den israelisch-türkischen Beziehungen. Um die Türkei als Basis für einen möglichen Krieg gegen Iran nutzen zu können, hatte sich Washington bereit erklärt, die Türkei im Kampf gegen die PKK zu unterstützen. Bei Treffen zwischen Vertretern der USA, der Türkei und Israel im Anschluss an den Bush–Erdogan-Gipfel vom 5.November 2007 wurde vereinbart, daß die türkische Regierung im Gegenzug für geheimdienstliche Informationen über PKK-Stellungen zum Aufbau von US-Militärstützpunkten gegen den Iran und auch Syrien beitragen soll. Mit Einverständnis der kurdischen Regionalregierung sowie logistischer Unterstützung der Türkei entstand im vergangenen Herbst auf dem Berg Korek nahe der Kleinstadt Diyana wenige Kilometer von der iranischen Grenze entfernt ein Militärstützpunkt mit modernster Satelliten- und Radartechnik, in dem israelische und US-Experten arbeiten. Ein ähnlicher Stützpunkt der USA soll nahe der Stadt Yüksekova in der südöstlichen türkischen Bergprovinz Hakkari gebaut werden, schreibt Mehmet Yaman am 2. Januar 2008 für die kurdische Nachrichtenagentur ANF. In beiden Fällen schadet die Präsenz der PKK den israelischen und US-Interessen. Diyana liegt direkt hinter den von der PKK kontrollierten Kandil-Bergen und Hakkari ist eine Hochburg der kurdischen Befreiungsbewegung.

Drohnen gegen Guerilla

Seit Mitte Dezember fliegt die türkische Luftwaffe nahezu wöchentliche Angriffe auf Ziele in Südkurdistan. Bei diesen auch im Frühsommer fortgesetzten Angriffen auf Südkurdistan werden der Türkei die Ziele durch US-Spionageflugzeuge sowie israelische Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron vorgegeben. Die Türkei hatte im Jahr 2004 10 Bodenstationen und 30 bis 40 dieser unbemannten Kleinflugzeuge im Wert von rund 200 Millionen Dollar bei der staatlichen israelischen Luftfahrzeugindustrie und der israelischen Rüstungsfirma Elbit Systems bestellt. Aufgrund technischer Probleme verzögerte sich die für 2007 vereinbarte Lieferung. Stattdessen mietete die Türkei für die jüngsten Angriffe auf Südkurdistan eine Reihe von Drohnen der israelischen Armee. Diese werden von einer israelischen Spezialistencrew auf dem Luftwaffenstützpunkt im nordkurdischen Batman betrieben, die zugleich türkische Militärs an dem Aufklärungssystem ausbildet. "Zusammen mit den Informationen, die wir von den USA erhalten sind Israels unbemannte Luftfahrzeuge äußerst hilfreich", bestätigte der türkische Verteidigungsminister Vecdi Gonul seinem israelischen Amtskollegen Ehud Barak im Februar kurz vor Beginn der türkischen Bodenoffensive gegen Südkurdistan.

"Wir haben nichts dagegen, wenn Israel und die Türkei entsprechend ihrer Interessen ihr Verhältnis zueinander verbessern. Für uns ist der Punkt wichtig, dass Israel dafür sorgt, dass die Waffen, die die Türkei benutzt, noch tödlicher werden, und somit zum Partner der Türkei beim Töten von Kurden wird", erklärte Murat Karayilan, Ratsvorsitzender der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK, Ende Januar 2008. Er warnte: "So wie Juden überall auf der Welt leben, so gibt es auch weltweit Kurden. Wir sind gezwungen, darüber zu debattieren, was wir gegen das Verständnis eines Landes wie Israel unternehmen können, das sich speziell bemüht, bei der Tötung der Kurden mitzuwirken und die Türkei entsprechend technisch ausrüstet. Meine Worte sollten nicht als leere Drohung verstanden werden." Karayilan fügte hinzu: "Wir glauben an das Existenzrecht des Staates Israel im Mittleren Osten. Die Existenz des jüdischen Volkes in der Region ist ein Fakt. Aber wir sind auch davon überzeugt, dass in gleicher Form den Kurden Rechte zustehen. Davon müsste auch Israel überzeugt sein."

Doch entscheidend für Israels Stellung zu den Kurden ist nicht – wie manchmal in der israelischen und kurdischen Presse zu lesen ist – das Juden und Kurden über die gemeinsame Verfolgungserfahrungen in der Geschichte verfügten oder dass gar – wie israelische Wissenschaftler herausgefunden haben wollen - zwischen Kurden und Juden die engste genetische Verwandtschaft besteht. In seiner Außenpolitik geht der zionistische Staat rein pragmatisch vor. Während die irakischen Peshmerga von KDP und PUK aufgrund ihrer oftmals bewiesenen Bereitschaft, sich fremden Interessen unterzuordnen, für Israel als Bündnispartner gegen Iran oder arabische Staaten interessant sind, wird die von der PKK geführte Befreiungsbewegung aufgrund ihrer Weigerung, sich Großmachtinteressen unterzuordnen, in Tel Aviv als unzuverlässiger Störfaktor in der Region eingeschätzt. Zwischen der Türkei und Israel besteht dagegen eine Allianz, die auf gemeinsamen strategischen Interessen ebenso wie auf Gemeinsamkeiten in der Struktur und Stellung der beiden Staaten beruht. In beiden Staaten spielt das Militär eine zentrale Rolle. Beide Staaten agieren als Besatzungsmächte, die Minderheiten in ihrem Herrschaftsbereich gewaltsam begegnen und aufgrund eines rassistisch definierten Selbstverständnisses als "jüdischer Staat" oder "Staat der Türken" große Teile der eigenen Bevölkerung – Kurden und arabische Israelis – ausgrenzen. Und beide Staaten haben immer wieder eine Funktion als Brückenkopf des US-Imperialismus im Nahen Osten erfüllt. Temporäre Differenzen etwa aufgrund der israelischen Ausbildungshilfe für die südkurdischen Peshmerga oder türkischer diplomatischer Beziehungen mit der palästinensischen Hamas sind demgegenüber zweitrangige Störfaktoren.

Fahri Türk, Politologiedozent an der Universität Edirne, fasst die gegenseitigen Interessen der Türkei und Israels an einer Kooperation zusammen: "Die wichtigsten Vorteile der Türkei aus dieser Kooperation mit Israel sind der Waffenhandel als Kompensation zu Waffenkäufen in den USA. Außerdem ein hochinteressanter Technologietransfer, die Sicherstellung der Unterstützung der jüdischen Lobby in den USA und die Bekämpfung der PKK und des kurdischen Nationalismus. Tel Aviv betrachtet die Stärkung der nationalen Sicherheit, die Legitimierung des jüdischen Staates, die Intensivierung der diplomatischen Kontakte zu den zentralasiatischen Staaten mit Hilfe der Türke und die Zusammenarbeit bei den wasserbezogenen Projekten als wichtigsten Determinanten ihrer Zusammenarbeit mit Ankara." (Eurasisches Magazin 30.7.06)

Starker Mann am Bosporus

Die Rolle der Türkei als strategischer Partner Israels ergibt sich auch daraus, dass das Land geopolitisch sowie mit seiner prowestlichen Regierung im islamischen Schafspelz die Rolle einer Brücke – oder besser eines trojanischen Pferdes des Westens - zur arabischen und islamischen Welt einnimmt. Dies gilt insbesondere gegenüber Syrien. Seit der Vertreibung Abdullah Öcalans 1998 hatte sich das syrisch-türkische Verhältnis fortlaufend verbessert. "Damaskus ist für Ankara das Tor zur arabischen Welt, während Ankara für Damaskus das Tor nach Europa ist", erklärte Recep Tayyip Erdogan während seines Syrienbesuchs im April 2008. Diese Position nutzte die Türkei nun, um als Mittler zwischen Syrien und Israel aufzutreten. Rückgabe der israelisch besetzten Golanhöhen gegen einen Friedensvertrag lautet der Vorschlag des "ehrlichen Maklers" Erdogan. Für das bislang als "Schurkenstaat" auf der "Achse des Bösen" verortete Syrien ergibt sich so die Chance, von den USA und der EU verhängte Embargos und Wirtschaftssanktionen abzuwerfen, während Israel und die USA durch eine Annäherung Syriens an den Westen die Isolierung des Iran, aber auch der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hizbollah vorantreiben wollen. Gewinner der syrisch-israelischen Geheimdiplomatie ist auf jeden Fall die Türkei, die angesichts eines isolierten Iran und eines im Chaos versunkenen Irak ihre Rolle als regionale Vormacht im Nahen Osten ausbaut. "Die Türkei wird damit erstmals seit dem Ende des Osmanischen Reiches im Nahen Osten ein wichtiger Akteur und übernimmt dort Aufgaben, die auch für die Vereinigten Staaten und Europa wichtig sind. Im Gegenzug, so die Grundannahme der von Erdogans außenpolitischem Berater Davutoglu entworfenen Außenpolitik, erhöht die Türkei ihr Gewicht in der EU und in Nordamerika", schrieb Rainer Hermann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28.April 2008. Dass die Türkei gleichzeitig durch ein neues antikurdisches Militärbündnis mit dem Iran dessen Isolation wieder aufbricht und damit westlichen Interessen zuwider handelt, zeigt die Paradoxie einer Quadratur des Kreises. Die kurdische Frage bleibt damit neben der palästinensischen Frage der zentrale Sprengsatz im Mittleren Osten. Ohne deren Lösung werden weder die imperialistischen Neuordnungspläne eines "Größeren Mittleren Ostens" erfolgreich sein. Noch können andererseits die Völker der Region ihre Freiheit gegen die Pläne der westlichen Großmächte und ihrer Kettenhunde Israel und Türkei erkämpfen, solange Kurdistan eine blutende Wunde bleibt.

Aus: Kurdistan Report Nr. 138 Juli/August 2008