Hohe Schule der revolutionären Strategie

Vor 80 Jahren tagte der III. Weltkongress der Kommunistischen Internationale

 

Von Nick Brauns

 

Vom 22. Juni bis zum 12. Juli 1921 tagte in Moskau der III. Weltkongress der Kommunistischen Internationale. 602 Delegierte aus 48 Ländern vertraten 58 Parteien. Nach Einschätzung des marxistischen Historikers Pierre Frank handelte es sich um den wichtigsten Kongress der Komintern überhaupt.

 

Zum einem galt es auf dem Kongress, wie Leo Trotzki später vor der Moskauer Parteiorganisation erklärte, die Arbeiterbewegung und die kommunistische Internationale von reformistischen und zentristischen Elementen zu säubern, "die den Kampf nicht wollen, die den Kampf fürchten, und ihre Unlust zu kämpfen, ihre innere Neigung zum Paktieren mit der bürgerlichen Gesellschaft, bemänteln mit diesen oder jenen Theorien".  So beschloss der Kongress im Falle der italienischen Sozialistischen Partei, dieser so lange die Teilnahme an der Komintern zu verwehren, bis sie ihren reformistische Flügel ausgeschlossen habe. Weiterhin billigte der Kongress den Ausschluss des ehemaligen KPD-Vorsitzenden Paul Levis wegen Disziplinbruchs aus der Kommunistischen Internationale, obwohl insbesondere Clara Zetkin sich für ihn stark machte.

 

"Aber diesen Kampf nach rechts, der zu unserem grundsätzlichen Kampfe mit der bürgerlichen Gesellschaft durchaus gehört, können wir nur dann erfolgreich führen, wenn wir in kürzester Zeit die linken Verirrungen überwinden, die sich aus der Unerfahrenheit und Ungeduld ergeben und mitunter die Form gefährlicher Abenteuer annehmen. In dieser Richtung hat der dritte Kongress eine große Erziehungsarbeit geleistet, die ihn ... zur Hochschule, zur Akademie der revolutionären Strategie gemacht hat", so Trotzki. Tatsächlich nahm die Debatte mit den linken Kommunisten, die eine putschistische Offensivtaktik befürworteten den größten Teil der Debatte ein. Lenin stand nach seiner Selbsteinschätzung auf dem "äußersten rechten Flügel" des Kongresses.

 

Zwar war weniger als ein Jahr seit dem II. Kongress vergangen, doch die Weltlage hatte sich entscheidend gewandelt. Von der überschwänglichen Begeisterung des vorangegangenen Kongresses war nichts mehr zu spüren, schien doch die Weltrevolution zum Stillstand gekommen zu sein. Der Vorstoß der Roten Armee auf Warschau war im August 1920 von den weißen Truppen zurückgeschlagen worden. Die italienische Fabrikrätebewegung war an der Passivität der Führung der italienischen Sozialisten im September 1920 gescheitert und im März 1921 war der bewaffnete Widerstand von KPD und KAPD gegen den Einmarsch der Schutzpolizei ins Mitteldeutsche Industrierevier blutig niedergeschlagen worden. Das kapitalistische Gleichgewicht sei wieder hergestellt und die III. Internationale gescheitert, höhnte bereits die internationale Sozialdemokratie.

 

Dieser Frage widmete sich Leo Trotzki in seinem einleitenden Referat zur "Wirtschaftlichen Weltkrise und den neuen Aufgaben der Kommunistischen Internationale". 

Seine wohl wichtigste Rede vor der Komintern hielt Trotzki in deutscher Sprache. Dass Deutsch damals noch die Geschäftssprache der Komintern war, drückte die Hoffnung auf das Herannahen der deutschen Revolution aus und beweist zum anderen, dass den Bolschewiki zu Lenins Lebzeiten jeglicher Gedanke fern lag, sich die Internationale als Instrument russischer Außenpolitik unterzuordnen, wie es später unter Stalin geschah.

 

Ausgehend von einer Untersuchung der allgemeinen Wirtschaftslage, der Beziehungen unterschiedlicher Industriezweige, von Stadt und Land sowie der Klassen untereinander und der internationalen Politik zeigte Trotzki auf, dass der Kapitalismus, solange er existierte, sich immer in einem labilen Gleichgewicht befindet, in dem sich Konjunktur und Krise abwechseln. Anknüpfend an die Theorie der "Lange-Wellen" des Ökonomen Kondratieff wies er  nach, dass die Weltwirtschaft in eine lange Depressionsperiode eingetreten war, in der die zyklischen Schwankungen fortbestehen, aber im großen und ganzen die Kurve der kapitalistischen Entwicklung nicht auf- sondern absteigt. Diese Prognose wurde von der Weltwirtschaftskrise 1929 bestätigt.

 

Aufgrund dieser Analyse forderte Trotzki von den Kommunistischen Parteien "nicht allein die Fähigkeit, anzugreifen, sondern auch die Bereitschaft, vorübergehend den Rückzug anzutreten, um Kräfte zu sparen, um zum umso sicheren Schlage auszuholen." In der Wirtschaftsdefensive sollten die Kommunisten als entschlossenster und diszipliniertester Flügel der Arbeiterklasse in den Gewerkschaften, bei Streiks und Wirtschaftskämpfen auftreten, um ihren Zusammenhalt zu stärken, neue Volksschichten für sich zu gewinnen und sich für eine neue Offensive vorzubereiten. Für Pessimismus sah Trotzki keinen Grund: "Weder die Verelendung noch die Prosperität als solche können zur Revolution führen, sondern das Abwechseln der Prosperität und der Verelendung, der Krise; das Nichtstabile, der Mangel an Beständigkeit ist der treibende revolutionäre Faktor."

 

Karl Radek referierte über Fragen der Taktik. Im Mittelpunkt seiner Rede stand eine Einschätzung der deutschen  Märzaktion. Radek kritisierte die Theorie der "revolutionären Offensive", die besagte, Kommunisten müssten unter allen Umständen in die Offensive gehen, auch, wenn sie nur eine Minderheit der Arbeiterklasse hinter sich hätten.  In der anschließenden Diskussion meldete sich auch Lenin zu Wort. Energisch wandte er sich gegen jegliche putschistischen Tendenzen aufgrund einer revolutionären Ungeduld, deren Träger neu radikalisierte Schichten der Arbeiterklasse waren, die über keine lange politische und gewerkschaftliche Erfahrung verfügten: "Wenn der Kongress gegen solche Fehler, gegen diese linken Dummheiten, nicht entschlossen die Offensive durchführt, dann ist die Bewegung zugrunde gerichtet. ... Wer in Europa, wo fast alle Proletarier organisiert sind, nicht versteht, dass wir die Mehrheit der Arbeiterklasse erobern müssen, der ist verloren für die kommunistische Bewegung."

 

Zu Eroberung der Mehrheit der Arbeiter beschloss der Kongress  ein System von Übergangsforderungen aufzustellen, "die in ihrer Gesamtheit die Macht der Bourgeoisie zersetzen, das Proletariat organisieren, Etappen im Kampf um die proletarische Diktatur bilden und deren jede für sich dem Bedürfnis der breitesten Massen Ausdruck verleiht, auch wenn diese Massen noch nicht bewusst auf dem Boden der proletarischen Diktatur stehen."

 

Gemeinsam mit allen Organisationen der Arbeiterbewegung, also auch mit der Sozialdemokratie, gelte es im Rahmen der Einheitsfrontpolitik die unmittelbaren ökonomischen und politischen Interessen der Werktätigen gegen die Offensive der Bourgeoisie zu verteidigen. Als entschlossenster und vorwärtstreibendster Teil der Arbeiterklassen sollten die Kommunisten so um die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiter werben.

Dass die linke Mehrheit des Kongresse letztlich Lenin und Trotzki folgte und einstimmig für die Thesen zur Taktik votierten, beweist die große Autorität der bolschewistischen Führer.

 

Im Bezug auf die linksradikale Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands, die als sympathisierende Sektion teilgenommen hatte, setzte der Kongress ein Ultimatum von drei Monaten, innerhalb derer die KAPD sich wieder der KPD anschließen sollte. Doch die KAPD verweigerte dies und verkam zur bedeutungslosen Sekte.

 

Zur Gewerkschaftsfrage und der Gründung der Roten Gewerkschaftsinternationale sprachen Gregorij Sinowjew und Fritz Heckert. Über die Taktik der russischen Kommunisten referierte Lenin und über organisatorische Fragen der Internationale Wilhelm Koenen.

 

"Der III. Kongress war ein großer Wegweiser. Seine Lehren sind heute lebendig und fruchtbar. ... Die Parole des III. Kongresses lautete nicht einfach: `Heran an die Massen´ sondern: ´Heran an die Macht durch eine vorherige Eroberung der Massen." Ausgehend von dieser Einschätzung Trotzkis lohnt es sich auch heute für die radikale Linke, sich mit den Thesen und Diskussionen des III. Weltkongresses vertraut zu machen.