Junge Welt 09.02.2005 Inland Nick Brauns
Teheran auf der Agenda
Nach US-Drohungen wird Iran bestimmendes Thema beim Münchner Strategietreffen. Im Vorfeld soll eine »Finanzierungskonferenz« deutsch-iranische Beziehungen festigen
Die Sicherheitslage im Irak sowie die jüngsten Drohungen von
US-Außenministerin Condoleezza Rice gegen den Iran werden die Agenda der 41.
Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik am kommenden Wochenende bestimmen.
Deutsche und EU-Vertreter wollen dabei der aggressiven US-Strategie ihr eigenes
Modell von »Sicherheit durch Investitionen« gegenüberstellen. So hatte der
grüne Außenminister Joseph Fischer auf der Sicherheitskonferenz 2004 das
Projekt einer »transatlantischen Initiative für den gesamten Mittelmeerraum«
als europäisch dominiertes Gegenmodell zum »Greater Middle East« des Pentagon
lanciert. Kern ist die 1995 in Barcelona vereinbarte Schaffung einer
Freihandelszone EU–Mittelmeer bis zum Jahr 2010. Assoziationsabkommen mit
Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Malta, Marokko, der
Palästinensischen Autonomiebehörde, Tunesien, der Türkei, Zypern und Syrien
wurden bereits ausgehandelt.
»Krisengürtel« im Blick
An die Fischer-Initiative knüpft auch eine erstmals stattfindende
»Finanzierungskonferenz Nordafrika/Mittelost« an. Rund 250 hochrangige
Vertreter von Politik und Wirtschaft aus Deutschland und dem Mittleren Osten
bzw. Nordafrika werden am Freitag im Münchner Dorint Sofitel Hotel über
»operative Fragen der Finanzierung und der finanziellen Absicherung von Export-
und Projektvorhaben« in dieser Region beraten. Veranstalter sind der
Bundesverband der Deutschen Industrie, der Bundesverband der Deutschen Banken
sowie die Weltbank und die Europäische Investitionsbank. Unter den Referenten
befinden sich Vertreter aus beinahe sämtlichen Staaten des islamischen
»Krisengürtels« von Algerien bis Afghanistan, darunter der iranische
Vizeminister für Wirtschaft und internationale Angelegenheiten, Mohamad-Mehdi
Navab-Motlagh. Bei den teilnehmenden Banken handelt es sich um deutsche
Großbanken wie die Deutsche Bank, Commerzbank und HypoVereinsbank sowie
arabische Kreditinstitute wie die Bank of Alexandria, Gulf Finance House,
Mashreqbank, Islamic Development Bank und die Qatar Industrial Development Bank.
Da »spezifische Sicherheitsrisiken« Handel und Investitionen in der Region
behinderten – so die Umschreibung für den Widerstand gegen neokoloniale
Ausplünderung – findet die Finanzierungskonferenz in Kooperation mit der
Sicherheitskonferenz statt, auf der ebenfalls »die wechselseitigen Beziehungen
von wirtschaftlicher Entwicklung und Sicherheit« einen Schwerpunkt bilden.
125jährige Legende
Im Vordergrund stehen bei der Finanzierungskonferenz explizit deutsche
Interessen. »Die deutsche Wirtschaft hat guten Grund, das Potential der Region
Nordafrika/Mittelost zu nutzen«, heißt es in der Einladung, »Die Region ist uns
generell wohlgesinnt, von hoher strategischer Bedeutung und wegen des
Nachholbedarfs insbesondere im Bereich der Investitionsgüter interessant.«
Deutsche Unternehmen würden sich gleichermaßen als »bevorzugte Partner zur
Stärkung der Privatwirtschaft in der Region wie als Empfänger strategischer
Auslandsinvestitionen von Kapitaleignern aus der Region« anbieten.
Damit wird auf die mittlerweile 125jährige Legende vom antikolonialen Charakter
deutscher Nahostpolitik angespielt. Während die anderen Großmächte aus ihrer
Absicht keinen Hehl machten, den »kranken Mann am Bosporus« so bald wie möglich
unter sich aufzuteilen, verstand es das kaiserliche Deutschland, gegenüber dem
Osmanischen Reich als Freund und Retter aufzutreten. Deutsche Banken und
Konzerne tätigten ab den 1880er Jahren strategische Investitionen wie den Bau
der Bagdadbahn, und deutsche Offiziere halfen bei der Modernisierung der türkischen
Armee.
Absatzmarkt Iran
Während die USA und Großbritannien ihre Interessen im Nahen Osten mit
kriegerischen Mitteln vertreten, verfolgt die Bundesrepublik eine Politik des
»konstruktiven Dialogs« verbunden mit besten wirtschaftlichen Kontakten
gegenüber den Mullahs in Teheran ebenso wie früher zu Saddam Hussein.
Das Motto der Finanzierungskonferenz »Mehr Sicherheit durch Investitionen«
bezieht sich nach Meinung der Analytiker von www.german-foreign-policy.com
direkt auf den Iran. Nach Jahren politisch bedingter Stagnation erleben die
deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen seit dem Jahr 2000 einen sprunghaften
Aufschwung. Deutsche Automobilhersteller sehen ein Absatzvolumen von einer
Million Fahrzeugen im Iran. Volkswagen ist am Bau einer Fertigungsstätte in der
iranischen Sonderwirtschaftszone nahe der Stadt Bam beteiligt und plant die
Errichtung eigener Fabriken in den nächsten Jahren. Der seit langem im
Iran-Geschäft aktive Siemens-Konzern hat einen Auftrag für das iranische
GSM-Mobilfunknetz erhalten und bewirbt sich um den Bau der Teheraner U-Bahn.
Die Bundesregierung hat auch die Hermes-Bürgschaften für Investitionen in Iran
erhöht. Insbesondere aber hoffen die deutschen Energiestrategen, mit Hilfe
iranischen Erdgases – rund 15 Prozent der weltweiten Vorräte – aus der
Abhängigkeit von Rußland herauszukommen. Berlin sieht seine wirtschaftlichen
und geostrategischen Interessen durch die Drohungen der US-Administration
unmittelbar gefährdet und setzt daher auf »Handel und Investitionen« als »wichtige
Instrumente zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und damit zur
Eindämmung und Überwindung« sicherheitspolitischer Risiken.
Daten und Fakten zur Initiative Nordafrika-Mittelost
Die Finanzierungskonferenz ist Bestandteil der 1996 vom Bundesverband der
Deutschen Industrie, dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag, dem
Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels sowie dem Nah- und
Mittelost-Verein gegründeten »Nordafrika Mittelost Initiative der Deutschen
Wirtschaft« (NMI). Später kamen noch der Afrika-Verein und der Bundesverband
Deutscher Banken hinzu. Die Besetzung des NMI-Präsidiums mit Vertretern
führender Finanzinstitute und Unternehmen wie Deutscher Bank, Commerzbank,
Dresdner Bank, Siemens, DaimlerChrysler und MAN verdeutlicht die Bedeutung der
Stoßrichtung Mittelost für das deutsche Großkapital. Neun Ländergremien von
Algerien über Pakistan bis zur Türkei, in die offizielle Regierungsstellen
eingebunden sind, sollen der Zugang der deutschen Wirtschaft zu den Märkten der
Region und die bilaterale Kooperation erleichtern.
Die Traditionslinie deutscher Nahost-Expansion verkörpert der während des
Faschismus 1934 von Vertretern des deutschen Großkapitals wie der IG Farben,
Siemens, Dresdner Bank, Lufthansa und Krupp als Orient-Verein gegründete Nah-
und Mittelost-Verein. 1950 wurde der Orient-Verein als Nah- und
Mittelost-Verein auf Grundlage der bestehenden Satzung neugegründet.
Vorsitzender wurde 1954 der Hamburger Industrielle und ehemalige
NS-Geheimdienstspezialist für die ethnische Zerschlagung der europäischen
Nachbarstaaten Alfred C. Toepfer, dessen Firmen von der Ausplünderung besetzter
Gebiete und dem Raubgold ermordeter Juden profitierten und z. B. Löschkalk für
die Massengräber im Ghetto Lodz lieferten.
* Proteste in München
Freitag 11. Februar 2005, 16.30 Uhr: Demonstration vom Lenbachplatz zur
Finanzierungskonferenz Nordafrika/Mittelost; 17 bis 19 Uhr: Kundgebung vor dem
Dorint Sofitel Hotel Bayerpost am Hauptbahnhof (Bündnis gegen die
Sicherheitskonferenz)
Samstag 12. Februar 2005, 12 Uhr: Internationale Großdemonstration gegen die
Sicherheitskonferenz, Marienplatz