junge Welt vom 05.12.2005

 

Feuilleton

Ein Fall für Zwei

Über den »deutschen James Bond« gibt es nun ein Buch, in dem der Held unter Pseudonym auftritt. Dabei ist sein Name durchaus bekannt

Nick Brauns

 

Einen Agententhriller aufgrund von Tatsachenrecherchen verspricht das Buch »Gefährliche Mission – Die Geschichte des erfolgreichsten deutschen Terroristenfahnders«. Tatsächlich erfährt der Leser in dem reißerisch geschriebenen Buch interessante Details über Operationen des Bundeskriminalamtes im Ausland, insbesondere im Nahen Osten.

Der Autor Oliver Schröm machte sich als »Experte« für Terrorismusfragen unter anderem durch sein Buch »Im Schatten des Schakals« (2004) über die Carlos-Gruppe einen Namen. Bei seinen damaligen Recherchen kam er auch in Kontakt mit dem BKA-Beamten, der den deutschen Carlos-Gefolgsmann Johannes Weinrich aus dem Jemen nach Deutschland gebracht hatte. Bevor er diesen interviewen durfte, mußte Schröm dem BKA zusichern, ein Pseudonym seines Helden zu verwenden. Wie junge Welt in Erfahrung bringen konnte, heißt Kriminalhauptkommissar »Richard Böttcher« in Wirklichkeit Gerhard Lehmann und arbeitet seit 1979 fürs Bundeskriminalamt, Abteilung Sonderaufgaben. Sein Schwerpunkt sind Morde mit starkem internationalen Bezug. »Kein Fahnder hat in den vergangenen 25 Jahren mehr Attentate aufgeklärt, mehr Terroristen und ihre Hintermänner hinter Gitter gebracht. Er kam dem berüchtigten Terroristen Carlos auf die Spur, deckte die Wahrheit über die dritte RAF-Generation auf und verhinderte Anschläge von Palästinenserorganisationen«, preist der Scherz-Verlag das Buch an.

Der Zeugenbeschaffer

Ein Arbeitsschwerpunkt Lehmanns war dabei »die V-Mann-Führung im ›operativen Bereich‹«. »IM-Führungsoffizier« würden westdeutsche Medien dies nennen, wenn es sich um die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit handelte. »Menschliche Anteilnahme ist die wichtigste Eigenschaft eines V-Mann-Führers«, predigt Böttcher und meint damit, auch emotionale Motive wie Liebeskummer oder die Sucht nach Anerkennung bei der Spitzelwerbung auszunutzen. Aber auch Sauftouren mit ehemaligen MfS-Mitarbeitern, von denen Böttcher Informationen über Kontakte des MfS zur Carlos-Gruppe oder zu untergetauchten RAF-Aktivisten bekommen möchte, gehören dazu.

Regelmäßig findet sich Böttcher beim BND in Pullach ein. Was er dort im einzelnen treibt, bleibt geheim. Der Leser erfährt lediglich, daß das BKA dort niemals eine Hotelübernachtung zahlen mußte. Denn die anscheinend ständig in der Angst vor einem »Romeo« des MfS lebenden BND-Mitarbeiterinnen rissen sich angeblich um ein Schäferstündchen mit dem als sicher geltenden BKA-Mann.

Eine Ernüchterung mußte der junge Fahnder schon zu Beginn seiner Laufbahn erleben, als der in Deutschland rechtskräftig verurteilte palästinensische Aktivist Abu Walid zwei Jahre vor Ende seiner Haftstrafe von der Bundesregierung aufgrund guter Beziehungen zu arabischen Ländern und der PLO wieder laufen gelassen wurde. »Die Strafverfolgungsbehörden sind nur ein Spielball der Politik«, läßt Schröm seinen Helden sagen.

Ein scheinbar spektakulärer Erfolg gelang Böttcher 1994, als er den syrischen Diplomaten Nabil Chretah zuerst von Damaskus nach Budapest und von dort nach Deutschland lockte. Chretah soll als Botschaftssekretär in den 80er Jahren Waffen der Carlos-Gruppe in der syrischen Botschaft in Ostberlin aufbewahrt haben. Nun mußte er als Kronzeuge gegen den Carlos-Gefolgsmann Johannes Weinrich und den für Kontakte zur Carlos-Gruppe zuständigen MfS-Major Helmut Voigt im Verfahren um den Bombenanschlag auf das Berliner Maison de France von 1983 dienen.

Unklar bleibt bei Schröm, warum Chretah freiwillig seinen bequemen Diplomatenschreibtisch in Damaskus gegen eine deutsche Gefängniszelle tauschte. »Nun sollte etwas branchenüblicher Druck nachhelfen«, schrieb dagegen der Spiegel (13/1994). »Die deutschen Sicherheitsbehörden hatten umfangreiche Unterlagen ausgewertet, die von der Stasi über Chretah angelegt worden waren, darunter Details über womöglich kompromittierende Kontakte.« Lehmann und ein BND-Mann, der Chretah mit dem belastenden Material am liebsten zu Spionagediensten in Damaskus pressen wollte, verhörten laut Spiegel den Syrer in dessen Budapester Hotelzimmer, bis er »ein Wrack war« und sich zur »freiwilligen« Einreise nach Deutschland bereit erklärte. Anschließend manipulierten die Fahnder das abgelaufene deutsche Visum in Chretahs Paß, doch der Schwindel flog am Flughafen auf. Nachdem Chretah mit echtem Visum in Berlin eingetroffen war, beschuldigte er verdeckt hinter einer spanischen Wand im Moabiter Gerichtssaal Syrien der Unterstützung der Carlos-Gruppe. Daß Chretahs Aufenthalt in Deutschland keineswegs freiwillig war, beweist auch ein Brief an das Landgericht Berlin vom Dezember 1994. »Wie Sie wissen, wurde ich genötigt, mich seit dem 9. 1.1994 in Deutschland aufzuhalten«, bat Chretah um eine vorübergehende Ausreiseerlaubnis.

Mann fürs Grobe

Das Verhältnis zwischen Syrien und der Bundesregierung war durch die Affäre nachhaltig gestört. Im Bundesinnenministerium wurde überlegt, ein Disziplinarverfahren gegen Böttcher/Lehmann einzuleiten und ein Abteilungsleiter der Berliner Staatsanwaltschaft wollte ihn sogar wegen Nötigung verhaften lassen. Doch all das wurde laut Schröm im letzten Moment verhindert – durch den im Maison-de-France-Verfahren ermittelnden Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis. Seitdem heißt es bei der Berliner Staatsanwaltschaft: »ein Fall für zwei«. So fand sich Lehmann unter anderem im Prozeß um den Anschlag auf die Diskothek La Belle sowie einem weiteren Prozeß gegen Weinrich als »Mann fürs Grobe« mit exzellenten Geheimdienstkontakten stets an der Seite des Staatsanwalts.

»Heute ermittelt der BKA-Beamte auch im Auftrag der UN«, heißt es vage im Klappentext des Buches. Tatsächlich ist Gerhard Lehmann stellvertretender Leiter der von seinem alten Freund Mehlis geleiteten UN-Untersuchungskommission zur Aufklärung des Mordes am ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri. Lehmann, der sonst die Öffentlichkeit scheut, übergab vor laufenden Fernsehkameras am 21. Oktober 2005 den Zwischenbericht der Kommission an die libanesische Regierung.

Brisant erscheint in diesem Zusammenhang, daß Lehmann – wie im Buch geschildert – auch im Libanon als Führungsoffizier für arabische V-Leute im deutschen Sold agierte. Recherchen der Nachrichtenagentur One World Media lassen den dringenden Verdacht aufkommen, daß Lehmann im Libanon, in Syrien und auf Zypern ein Spionagenetzwerk aufgebaut hat, das »die Hizbullah, die Amal und alle palästinensischen Widerstandsgruppen durchsetzt hat«. Kofi Annan wäre gut beraten, nach dem Rückzug von Detlev Mehlis auch dessen Stellvertreter Lehmann aus der UN-Untersuchungskommission abzuziehen.

* Oliver Schröm: Gefährliche Mission. Die Geschichte des erfolgreichsten deutschen Terrorfahnders. Scherz-Verlag Frankfurt am Main 2005, 320 Seiten, 19,90 Euro

 

-----------------------
Adresse: http://www.jungewelt.de/2005/12-05/028.php
Ausdruck erstellt am 04.12.2005 um 23:02:05 Uhr

 

© http://www.jungewelt.de | Website: http://www.warenform.net

 

Fenster schließen ]