Ludwig-Maximilians-Universität München im
Sommersemester 1995
Neue Geschichte: Hauptseminar: Deutsche
und Britische Feindbilder im Ersten Weltkrieg
Dozent: Prof. Dr. Adolf M. Birke
Hausarbeit zum Thema:
Paul Fussel:
The Great War and Modern
Memory
2.Literatur und Lyrik als Quelle
über den "Great War"
3. Einfluß und Sprache der
Kriegserinnerung
5. Ironie als Element der
Verarbeitung und Erinnerung
6. Naivität und Desillusionierung
7. Die Unendlichkeit des Krieges
8. Das Feindbild des britischen
Soldaten
10. Trennlinien und Gegensätze
Bis heute sind englische Truppen nahezu permanent in
Kriege und militärische Auseinandersetzungen verwickelt. Das Königreich kann
auf eine breite Palette kriegerischer Erfahrung, von Cromwells Bürgerkrieg,
über die Flottenpolitik zum Aufbau des Empires, über Waterloo, über die
Schlachten zweier Weltkriege, bis zu den Kämpfen um die Falklandinseln und
heute als UNO-Truppe in Bosnien zurückblicken. In der englischen
Geschichtsschreibung, wie auch in der Literatur sticht aber besonders ein Krieg
hervor: der Erste Weltkrieg. Wenn auch sicherlich der Zweite Weltkrieg in der
Weltgeschichte einen wesentlich schrecklicheren Einschnitt hinterließ, mit
Auschwitz, Stalingrad, Hiroschima und dem gewaltsamen Tod von 60 Millionen
Menschen, so ist es doch der Erste Weltkrieg, der von den Engländern als
"Great War" bezeichnet wird, als der Krieg aller Kriege, der die
Nation im 20. Jahrhundert entscheidend geprägt hat.
Der Literatur- und Kulturkritiker Paul Fussel hat sich
intensiv dem Studium des "Great War" im nationalen britischen Mythos
gewidmet. Fussel geht in der Untersuchung "The Great War and Modern
Memory"[1] dabei nicht nur akademisch an die Quellen und
Dokumente aus der Kriegszeit heran, sondern läßt auch seine eigene Erfahrung
einfließen. Nicht nur die Widmung des Buches für einen im Zweiten Weltkrieg
gefallenen Kriegskameraden drückt den subjektiven Hintergrund des Buches aus[2], auch lange detaillierte Beschreibungen über die
Erfahrung des Grabenkrieges zeugen von
der persönlichen Erfahrung des Autors mit militärischen Belangen.
Fussels Buch unterscheidet sich sowohl in seiner
Absicht, wie auch in seiner Herangehensweise an die Thematik von anderen
Untersuchungen zur Literatur und Dichtung des Ersten Weltkriegs. So ist dieses
Buch nicht primär literaturkritisch. Fussel erklärt: "This book is about the
British experience on the Western Front from 1914 to 1918 and some of the
literary means by which it has been remembered, conventionalized, and
mythologigized. It is also about the literary dimensions of the trench
experience itself."[3] Fussel versucht dabei die Dialektik von Kriegserleben
und Literatur ebenso herauszuarbeiten, wie die Rückwirkung von Literatur auf
die Sichtweite des Krieges. "I have tried to understand something of the
simultaneous and reciprocal process by which life feeds materials to literature
while literature returns the favor by conferring forms upon life."[4] Weiterhin ist es die Absicht des Autors, das
Fortwirken im Great War entstandener Mythen auf die Erinnerung aufzuzeigen. Es
geht letztendlich darum, wie der Erste Weltkrieg im öffentlichen Bewußtsein der
Engländer aufgenommen und verarbeitet wurde und wie er dort weiterlebte. Dazu
müssen natürlich diejenigen Autoren untersucht werden, die das Bild vom Great
War in der Öffentlichkeit prägten und immer noch prägen.
Es sind im wesentlichen fünf Autoren, auf die sich
Fussels Untersuchungen im Kern stützen.
Im Einzelnen handelt es sich bei der untersuchten Literatur um die Gedichte von David Jones und Wilfried Owen
sowie die Memoiren und autobiographischen Texte von Siegfried Sassoon, Robert
Graves und Edmund Blunden. Deren Schriften sind, wie die Kriegsdichtung, sowohl
unmittelbar im Krieg entstanden, aber auch, wie die autobiographische
Aufarbeitung, in der Erinnerung an den Krieg in den Jahren dannach. Hinzu
kommen modernere Romane und Schriften, die die Motive des Great War aufgreifen.
Als Bekräftigung und Ergänzung der Werke und Memoiren der Kriegs-Autoren führt
Fussel eine Vielzahl von persönlichen Erinnerungen und Privatdokumenten
anderer, weniger bekannter Kriegsteilnehmer hinzu, die er den umfangreichen
Archiven des Imperial War Museum in London entnommen hat. Gerade diese
ursprünglich nicht für eine weitere Öffentlichkeit bestimmten Dokumente können
dazu beitragen, den Wahrheitsgehalt der Dichtung und Literatur von
Schriftstellern der Kriegszeit zu ermessen und auf eine Verallgemeinerung der
beschriebenen Erinnerungen und Erfahrungen hinzuwirken. Für den Historiker ist
die alltägliche Quelle, der private Brief von der Front, oft zuverlässiger, als
die künstlerisch veränderte Erinnerung eines Dichters mit Fronterfahrung. Es
sollen hier auch weniger die literaturwissenschaftlichen Fragestellungen, die
Fussel in seinem Werk ausführlich behandelt, dargestellt werden, sondern vielmehr
die für den Historiker interessanten Elemente. So muß die Frage gestellt
werden, wieweit die Memoirenliteratur und Kriegsdichtung, die Fussel verwendet,
als historische Quellen dienen können. Auch sollen einige Motive der
literarischen Verarbeitung des Great War aufgezeigt werden.
Der Literaturkritiker Fussel hat mit "The Great
War and Modern Memory" ein Buch geschrieben, das nicht nur vom
literaturgeschichtlichem Standpunkt aus, sondern auch gerade für den Historiker
interessant ist. Fussel stellt in seinen Untersuchungen dar, wie das Bild vom
Ersten Weltkrieg durch die Schriftsteller und deren Gedichte und Memoiren aus
der Kriegszeit geprägt wurde. Es kann kein Zweifel bestehen, daß für alle diejenigen
Menschen, die den Krieg nicht aktiv als Soldat erlebten, sei es als Zivilisten
in der Heimat, sei es, weil sie einer späteren Generation angehören, die
unterschiedlichen Formen von Literatur den entscheidenden Zugang zum Krieg
boten und bieten. Insbesondere für unsere Zeit trifft es zu, daß wir primär auf
schriftliche Quellen angewiesen sind. Es ist daher für den Historiker
notwendig, quellenkritisch an das überlieferte Material heranzugehen. Einen
wichtigen Schritt hat Fussel getan, indem er seine Untersuchung auf ein weites
Feld von Dokumenten stützte, die von den unterschiedlichsten Menschen zum
unterschiedlichsten Zweck und Zeitpunkt verfaßt wurden. So lassen sich viele
Thesen verallgemeinern, wenn offensichtlich wird, daß eine Beobachtung von verschiedenen
Menschen geteilt wird. Dennoch baut Fussel sein Buch um die für ihn als zentral
erscheinenden Werke der bekannten Kriegsautoren auf. Um den Realitätsgehalt von
deren Schriften zu erschließen, ist es notwendig, die Gruppe der Kriegsdichter,
und -schriftsteller soziologisch zu betrachten. Erinnerung an den Krieg ist
immer persönlich. Sie ist geprägt von Herkunft, Erziehung und Erfahrung.
George Parfitt stellt seiner neueren Untersuchungen
von englischer Dichtung des Ersten Weltkrieges einige Informationen und
Überlegungen zur Person des "wartime poet" voran.[5] So haben soziologische Untersuchung von knapp 200
Kriegsdichtern ergeben, daß die überwiegende Mehrzahl von ihnen unter 30 Jahre
alte Subalternoffiziere waren. 75% der Dichter mit einer höheren Schulbildung
hatten in Oxford oder Cambridge studiert und nur einer von 20 konnte eine
Herkunft aus der Unterschicht aufweisen.[6] Parfitt betont daher: "Such information underpins
the stereotype, and it is important to keep this picture in mind, since it
inevitably influences the overall view of war as represented in the poetry. The
war, as seen by young officers of privileged background, is likely to be a
picture defined by the social shaping of such men."[7]
Es ist verständlich, daß ein Angehöriger der
Mittel-und Oberklasse mit einer guten akademischen Bildung ganz anders an die
Erfahrung des Krieges herangeht und auch als Subalternoffizier partiell andere
Erfahrungen macht, wie ein Angehöriger der unteren Klassen mit einem
Mannschaftsdienstgrad. Parfitt bemerkt dazu: "The subaltern shared the
rigours of front-line experience with NCOs and rankers, but his experience
could hardly be the same: he had privileges and he had the specific
responsibilities of his rank.. Moreover, his perceptions of experience would
also be different, since he had a different social context. ... The subaltern
also, most importantly, lived in the context of the front line and can, in
fact, be seen as a vital link in the Army hierarchy: physically in close
contact with men of very different backrounds to his own, while
socio-culturally close to Staff."[8] Gerade in der Kriegsdichtung zeigt sich aber auch, daß
eben nicht nur der sozio-kulturelle Hintergrund entscheidend ist. So führte die
Fronterfahrung dazu, daß eine neue Spaltung die Spaltung nach Dienstgraden und
Gesellschaftsklassen im Bewußtsein der Truppe überlagerte. Auf der einen Seite
standen nun die kämpfenden Truppen und Offiziere, darunter die meisten
Kriegsdichter, auf der anderen Seite waren die nichtkämpfenden Einheiten, also
der Stab und rückwärtige Truppen.[9]
Fussel erwähnt
im Vorwort, daß das Bild vom Ersten Weltkrieg im Wesentlichen durch den
Stellungskrieg in den Schützengräben der Westfront geprägt wurde. Daher
beschränken sich seine Untersuchungen auch in der Hauptsache auf diese Front
des Krieges und hier wiederum auf die britische Infantrie. Andere
Kriegsschauplätze in Afrika oder dem Nahen Osten, sowie die See-und
Luftstreitkräfte bleiben ausgespart. Fussel erklärt ausdrücklich, er wolle die
literarischen Motive herausarbeiten, die in Zukunft einmal als "The Matter
of Flanders and Picardy" gelten könnten.[10] Daß unser Bild vom Ersten Weltkrieg tatsächlich von
der Westfront geprägt ist, liegt sicherlich auch daran, daß die Kriegsdichter
in ihrer übergroßen Mehrheit der Army angehörten und nicht den See-und
Luftstreikräften.
Wie nahezu alle Untersuchungen über Kriegsliteratur
und Dichtung befaßt sich Fussel ausschließlich mit den Schriften von Männern,
obwohl es durchaus eine ganze Reihe von Dichterinnen gab. Auch Parfitt
kritisiert diese Ignoranz weiter Teile der Literaturwissenschaftler, die
Autorinnen in ihren Untersuchungen und Anthologien weitestgehend auszusparen:
"Women experienced the war in a number of ways, and to ignore or
marginalise their war is distortion if the complete record."[11] Fussel muß, obwohl ihn Parfitt nicht ausdrücklich
nennt, hier auch kritisiert werden. Zwangsläufig wird das von ihm dargestellte
Bild vom Krieg dadurch bis zu einem gewissen Grad einseitig. Der Vorwurf trifft
um so mehr, als daß sich Fussel ein ganzes Kapitel lang mit homoerotischen
Tendenzen in der Truppe und der englischen Literatur befaßt, mit keinem Wort
aber auf das häufige Motiv der Frau in der Kriegsdichtung eingeht, geschweige
denn die Sichtweise von Frauen über den Krieg erwähnt.[12] Eine Anthologie mit Kriegsdichtung von Frauen
erschien dann auch erst 1981, herausgegeben von Catherine Reilly.[13]
Fussel hat zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, daß
für ihn die Infanterie der Westfront im Mittelpunkt steht, das daraus entstehende
Bild vom Great War muß dann aber als partiell gewertet werden, da sonst ein für
den Historiker falscher Eindruck entsteht. "Modern Memory" ist daher
auch nicht gleich die Realität, sondern nur die Teilrealität von denjenigen,
die sie schaffen und denen es gelingt, ihre Vorstellungen von der Wirklichkeit
durchzusetzen. Und das waren in diesem Fall eben jene jungen, gebildeten
Infanterieoffiziere von der Westfront.
Jon Silkin, der
sich intensiv mit der Kriegsdichtung befaßt hat, führt einen Grund an, warum
letztendlich nicht allein die Herkunft und der militärische Rang das Werk eines
Dichters prägt: "There is not always a simple and direct correlation
between the immediate social position of a poet and his work; some of his
influences will come not only environmentally but in relation to other writers,
and then, not only in relation to poets contemporary with him, but also in
relation to such a literary tradition as he interprets it and it is evaluated
by others."[14]
Es ist gerade in diesem Zusammenhang Fussels großer
Verdienst, nicht nur die Kriegspoesie und Literatur zu betrachten, sondern auch
aufzuzeigen, welche literarischen Einflüße und Traditionen die Schriftsteller
und Dichter, aber auch den einfachen Soldaten geprägt haben.
Die Soldaten des Ersten Weltkrieg standen, wenn sie
ihre Erfahrungen und Gefühle beschreiben wollten, vor dem Problem, noch nie
Erlebtes in der bekannten Sprache ausdrücken zu müssen. Für die Beschreibung
der neuen Situation griffen die Dichter des Krieges daher fast automatisch auf
Beispiele der traditionellen englischen Literatur und ihrer Motive zurück. Dies
lag umso näher, da der Great War auch ein "Literary War" war. Zum
einem waren viele Dichter und Schriftsteller nun als Soldaten an der Front, zum
anderen bot das Abwarten im Stellungskrieg für die Truppe die Möglichkeit,
vielfältige Literatur zu lesen, die problemlos aus der Heimat zu bekommen war.
Ein Buch, dem laut Fussel besondere Bedeutung zukommt, ist das "Oxford Book
of English Verse"[15], das den Truppen nicht nur Stoff für Liedertexte
lieferte, sondern auch Standardmotive -und Formulierungen: "What could be
more English than have Milton help one write a descoption of the aftermath of
an aborted attack? And what could be more English than to call upon Milton to help one
conceive of that dread scene in terms suggesting the antithetical world of
pastoral?",[16] beschreibt Fussel
die Vorgehensweise der Männer. Literatur
und Poesie dienten den Soldaten dazu, die Kriegserfahrungen zu verarbeiten und
in Worte zu fassen. Dieser Hintergrund, der gewiß auf die Dichter, aber auch
auf viele der einfachen Soldaten zutraf, muß beachtet werden, wenn Erinnerungen
aus dem Krieg als historische Quelle benutzt werden. Fussel bemerkt, daß nur
ein komplett unbelesener Mensch in der Lage sein konnte, die Wahrheit über ein
Kriegserlebnis zu berichten. Bei den belesenen Soldaten wurden Ereignisse
häufig nicht in den eigenen Worten wiedergegeben, sondern mit den aus Zeitungen
und Büchern gewohntem Formulierungen.[17]
Zu den bekanntesten Memoiren britischer
Weltkriegsteilnehmer gehören die Werke "The Memoirs of George
Sherston" von Siegfried Sassoon und "Good-bye to All That" von
Robert Graves. Diese Schriften unterscheiden sich von der meisten anderen
autobiographischen Literatur von Veteranen schon dadurch, daß ihre Autoren
Schriftsteller und Dichter sind. Gerade in einem solchen Fall muß aber auch
gefragt werden, wieweit wir es noch mit Autobiographien zu tun haben, und wo es
zu künstlerisch veränderter Fiktion mit autobiographischem Kern wird. Hiervon
hängt zu einem erheblichen Teil der Wert dieser Bücher als Quellen ab. Fussel
hat hier keinerlei Illusionen, sondern vertritt: "As we have seen, the
memoir is a kind of fiction..."[18] Alle drei Autoren hatten vor ihren autobiographischen
Texten lediglich Lyrik geschrieben.
In seinen einzelnen Untersuchungen zeigt Fussel auf,
wie weit eine künstlerische Motivation den Hauptcharakter dieser Schriften
ausmachen. Gerade im Fall von Sassoons "The Memoirs of George
Sherston" wird der fiktionale Charakter mit autobiographischen Elementen
deutlich. Sassoon hat nicht nur Elemente der Handlung modifiziert, selbst der
Akteur in seine Werk hat einen anderen Namen. Es war allerdings gerade die
Absicht Sassoons, möglichst die Realität abzubilden, die ihn dazu brachte, dem
Akteur einen anderen Namen und andere Eigenschaften zuzuschreiben. Möglichst
viele Leser sollten sich mit der Hauptfigur identifizieren. In der Einleitung
einer Auswahl von Texten Sassoons beschreibt der Herausgeber Fussel die
Motivation des Schriftstellers: "What he has done in the Memoirs of George
Sherston is to objectify onehalf of the creative leading this double life, the
half identificable as the sensitive but midless Athlete, and seperate it from
the other half, that of the much-crosseted aspirant poet, taken up by Lady
O'Holine Morell, Robert Ross, and other useful figures of the salons.
Aestheticism, the actual milieu of his family and frieds, vanishes from George
Sherston's story. Evelyn replaces his actual mother and aunt and uncle,
respectively painter, editor, and sculptor. Why does he jettison this
pateresque aspect of himself and his environs? Because, I think, he hopes to
show the effect of the war on more representative and ordinary man, not the man
of sensibility and privilege he actually was - rich, literary, musical, arty,
careerist."[19]Offensichtlich hat Sassoon hier größere Eingriffe und
Kunstgriffe vorgenommen. Mag sein, daß beim Durchschnittsleser so mehr
Verständnis für die Kriegserfahrung geweckt wird, als objektive Quelle kann so
ein Werk nicht gelten. "Memoiren" dieser Art sollten, wie von Fussel
gefordert, als Fiktion betrachtet werden, der Historiker kann die
autobiographischen Elemente, die zweifelsohne in großem Maße enthalten sind,
herauszuarbeiten.
Bei Graves' "Good-bye to All That" wird der
nicht-wahrheitsgetreue Charakter nicht so unmittelbar wie bei Sassoon sichtbar.
Vielmehr hat Graves autobiographische Elemente aufgenommen, sie jedoch literarisch
verändert. Sein Ziel war es, beim Leser Interesse und Spannung zu erzeugen.
Hierzu erzählt er einzelne Geschichten und Anekdoten, die er theatralisch
ausbaut und übertreibt. Fussel urteilt: "A poet, we remember Aristotele
saying, is one who mastered the art of telling lies successfully, that is
dramatically, interestingly. And what is a Graves? A Graves is a tongue-in
cheek neurasthenic farceur whose material is 'facts.'"[20] Fussel stellt dar, daß es sich bei "Good-bye to
All That" um ein drehbuchartiges Arrangement von Geschichten mit
autobiographischem Kern, nicht aber um echte Memoiren handelt.[21]
Anhand dieser Beispiele zeigt sich, wie falsch ein
unkritischer Leser liegen würde, der in den Memoiren die reine, wenn auch
subjektiv erfahrene Wahrheit vermutet. Es stellt sich generell die Frage,
wieweit Dichter als zuverlässige Quelle für historische Ereignisse dienen
können. Wenn sich schon der durchschnittliche Dichter im Ersten Weltkrieg von
seinem soziologischen Hintergrund und seinem militärischen Rang her von der
Masse der Kriegsteilnehmer unterschied, so ist es auch fraglich, ob Künstler an
sich gute Zeugen für die Vergangenheit sein können. In der Einleitung zu einer
Anthologie mit Gedichten des Ersten Weltkrieges weisen die Herausgeber Hibberd
und Onion auf diese Tatsache hin: "It is possible only in a limited sense
to regard poets as witnesses to history. They can convey their own
experiences more vividly than any historian, but they are individualists and
they create as well as perceive. The best poetry of the Great War is
necessarily not typical; the most useful historical evidence is often to be
found in mere 'verse', even though the dead weight of conventional forms and
diction no doubt prevented many versifiers from expressing their full thoughts."[22] Eine gewisse Kritik gegenüber dem Dichter oder
Schriftsteller als Zeitzeugen ist also angebracht. Gleichwohl stellen auch
künstlerische Kriegserinnerungen einen wichtigen Bestandteil der Quellen dar.
Der Historiker muß nur die Gefahren kennen, die entstehen, wenn allein aus
diesen Schriften ein realistisches Bild des Weltkrieges gezeichnet werden soll.
Es ist aber keineswegs ein Fehler, Lyrik und auch Prosa, die nicht vollständig
autobiographischen Charakter besitzt, für die Erforschung der Geschichte
heranzuziehen. Quellengattungen, die für die Geschichte des Altertums als
normal gelten, sollten bei der Geschichte unseres Jahrhunderts auch nicht
vernachläßigt werden.
Fussels Untersuchung geht von der Hypothese aus, daß
es in der Dichtung und Literatur des Great War Standardelemente, und -motive
gibt, die in der Erinnerung ein relativ einheitliches Bild entstehen lassen. Im
Folgenden sollen einige dieser Elemente, die die Kriegsliteratur prägen,
dagestellt werden.
Hier führt Fussel den Begriff der "irony"
ein. Ironie als Stilmittel bedeutet, mit spöttischem Unterton das Gegenteil von
dem zu meinen, was man sagt. Ironisch im weiteren Sinn ist auch ein Ereignis,
das die gegenteilige Wirkung hervorruft, die es eigentlich beabsichtigt hat,
oder wenn die Mittel in starkem Gegensatz zu einem angestrebten Ziel stehen.
"The irony
which memory associates with the events, little as well as great, of the First
World War has become an inseparable element of the general vision of war in our
time"[23] so Fussel. Diese
"irony" ist nicht nur ein durchgehendes Element in der mentalen und
literarischen Verarbeitung des Krieges, sie ist geradezu kennzeichnend, so
Fussels These, für die heutige Denkweise: "I am saying that there seems to
be one dominating form of modern understanding; that it is essentially ironic;
and that it originates largely in the application of mind and memory to the
events of the Great War."[24]
Mit dem Dichter Thomas Hardy beginnt Fussels "The
Great War". In der November 1914 erschienen Gedichtesammlung "Satires
of Circumstance" verarbeitet Hardy noch nicht den aktuellen Krieg, sondern
seine eigene Erfahrung von 1870. Für Fussel tragen aber genau diese Gedichte
mit ihrem ironischen Umgang mit dem Tod für das grundlegende Verständnis der
"mortal irony" bei, die prägend für die britische Mentalität der
Kriegsjahre werden sollte.[25] Der Krieg an sich ist für Fussel so eine Ironie. "Every war is
ironic because every war is worse than expected. Every war constitutes an irony
of situation because its means are so melodramatically disproportionate to its
presumed ends."[26] Wenige Schüsse in Sarajevo führen in der Konsequenz
zum Tod von Millionen Menschen. Die Schlacht an der Somme, die den Krieg beenden
sollte, führt zur Desillusionierung der Truppen, die erkennen, daß der
Schrecken nun erst recht beginnt.
Durch den Gebrauch von Ironie versuchen die Menschen,
ihre Angst und Unsicherheit zu überspielen. Hoffnung ist so in aussichtslosen
oder unbekannten Situationen mit Ironie gepaart. Die besondere Ironie des
Ersten Weltkrieges liegt für Fussel in der besonderen Naivität und Unschuld der
Briten zu Beginn des Krieges. [27]
Die Quellen, die Fussel auswertet, sind in der großen
Mehrzahl von Angehörigen der kämpfenden Truppe im Stellungskrieg an der
Westfront verfaßt worden. Es handelt sich hier sowohl um Memoirenliteratur wie
auch Gedichte und Briefe, sowohl von Schriftstellern in Uniform, wie auch von
weniger gebildeten Soldaten. Für die psychische wie auch die literarische
Verarbeitung des Kriegserlebnisses ist nun entscheidend, wie der Soldat sich
und den Krieg als solchen einschätzte und welche Veränderungen die konkrete
Erfahrung des Krieges in diesem Bild bewirkte.
Seit 1871 hatte es keinen Krieg zwischen den
Großmächten auf dem Kontinent mehr gegeben. England war schon ein Jahrhundert
lang in keinen größeren Krieg verwickelt worden. Bis in die ersten Monate des
Krieges hinein galt der englische Soldat nicht einfach als Soldat, sondern
"warrior". Das Bild dieses Kriegers war geprägt durch die großen
Ritter-und Abenteuerromane, ausgehend vom Mythos der Ritter der Tafelrunde um
König Arthur.[28] Die Tugenden des "Newbolt Man" waren es,
die den britischen Soldaten in der öffentlichen Meinung auszeichneten:
"honorable, stoic, brave, loyal, courteous - and unaesthetic,
unintellectual and devoid of wit."[29] Im Gegensatz zu den Truppen des Feindes galten die
englischen Soldaten als charakterstarke Individualisten, die nicht in der
Masse, sondern im Team handelten.
Das Bild des Krieges vor dem Great War war das eines
großen "Game", in dem es um Ruhm und Ehre ging.[30] Fussel führt an, wie noch während des Krieges der
"Sportsgeist" der englischen Truppen aufrechterhalten wurde, indem
beim Sturm auf die gegnerischen Gräben ein Fußball mitgespielt wurde. Für den
englischen Soldaten zeigte dann gerade der erstmalige Einsatz von Giftgas auf
deutscher Seite, daß der Gegner ein vollkommen anderes "Spiel"
verfolgte, in dem nicht mehr Ruhm und Ehre des Einzelnen, sondern
Massenvernichtung und Anonymität zählten.[31]
Fussel führt den Begriff der "innocence" an,
um die Mentalität sowohl der Soldaten, wie auch der Zivilisten zu Beginn des
Weltkrieges zu beschreiben. Noch wurde der Krieg als "fair-play"
betrachtet, in dem sich glorreiche Kämpfer für die Heimat ihre Orden verdienen.
Es war für den Durchschnittssoldaten noch nicht zu erahnen, welche neuen
technologischen Schrecken und Massenvernichtungsmittel in diesem Krieg drohen
sollten. Die Verwendung von Tanks und Giftgas stand noch bevor. Insbesondere
der Einsatz des Maschinengewehrs signalisiert für Fussel die neue Ära der
Kriegsführung: "Out of summer, 1914, marched a unique generation. It believed in
Progress and Art and in no way doubted the beginning even of technology. The
word machine was not yet invariably coupled with the word gun."[32] Und:"The war
will not be understood in traditional term: the machine gun alone makes it so
special and unexampled that it simply can't be talked about as if it were one
of the conventional wars of history."[33] Die Naivität der Briten zeigt sich auch in dem festen
Glauben, der Krieg würde nur zu einem kurzen ruhmreichen Festlandausflug.
Es war die Schlacht an der Somme, die die britischen
Truppen am 1. Juli 1916 endgültig ihre Unschuld verlieren ließ. "That moment,
one of the most interesting in the whole long history of human disillusion, can
stand as a type of all the ironic actions of the war.", so Fussel.[34] Die Schlacht wurde, wie vielfältige Memoirenliteratur und
Briefe von der Front belegen, als die letzte und somit entscheidende Schlacht
vor dem Sieg angesehen. Das Erlebnis der Schlacht selbst machte dann aus
"Kriegern" Soldaten, aus dem "Spiel" wurde blutiger Ernst.
Jeder Teilnehmer mußte sich nun über die Art und Dauer des Krieges klarwerden. Der Schriftsteller
Blunden erkennt: "By the end of the day both sides had seen, in a sad
scrawl of broken earth and murdered men, the answer to the question. No road.
No thoroughfare. Neither race had won, nor could win the War. The War had won,
and would go on winning."[35]
Von der naiven Hoffnung auf den großen endgültigen
Durchbruch durch die deutschen Linien blieb seit der Somme-Schlacht nichts mehr
übrig. Je länger sich der Stellungskrieg an der Westfront hinzog, desto mehr
schwand auch der Glaube an ein
absehbares Ende des Krieges überhaupt. Für die kämpfenden Truppen wurde
Krieg zu einem scheinbar festen Bestandteil des 20.Jahrhunderts, zu einer
Normalität. Die "innocence" hatte sich in ihr Gegenteil gewandelt. In
der Memoirenliteratur der Schriftsteller Edmund Blunden wie Robert Graves und
Siegfried Sassoon findet sich der Glaube, der Krieg könnte ewig andauern. Graves erklärte so:
"We held two irreconcilable beliefs: that war would never end and that we
would win it."[36]
Für Fussel
bestätigt sich diese Vorstellung eines andauernden Krieges: "The way the
data and usages of the Second War behave as if 'thinking in terms of' the First
is enough almost to make one believe in a single continuing Great War running
through the whole middle of the twentieth century. Churchill and the Nazi
Alfred Rosenberg had their differences, but both found it easy to conceive of
the events running from 1914 to 1945 as another Thirty Years' War and the two
world wars as virtually a single historical episode."[37] Es kann mit dem Begriff des "Great War"
letztendlich auch das 20.Jahrhundert selber gekennzeichnet werden: So folgten
auf den Ersten Weltkrieg der Spanische Bürgerkrieg, der Zweite Weltkrieg, der
Korea-Krieg, der Vietnam-Krieg bis hin zu den kriegerischen
Auseinandersetzungen der heutigen Zeit. "Thus the drift of modern
history domesticates the fantastic and normalizes the unspeakable. And the
catastrophe that begins is the Great War."[38] Letztendlich kann Fussel hier zugestimmt werden. Unser
Jahrhundert ist eine tatsächliche Folge von Kriegen, deren Grundlagen mit dem
Ersten Weltkrieg gelegt wurden. In diesem Krieg begannen die Großmächte
erstmals die Schlacht um die Weltgeltung, in diesem Krieg wurde durch die
Russische Revolution auch die Ursache der Systemauseinandersetzung gelegt, die
sich in Vietnam und Korea entluden.
Nachdem nicht nur die Briten ihre "innocence" durch das Erlebnis des
Ersten Weltkrieges verloren hatten, wurde der technisierte Massenkrieg zur
permanenten Erfahrung des 20.Jahrhunderts.
Das Denken in strikten Schwarz-Weiß-Schemen ist für
Fussel kennzeichnend für die Moderne und insbesondere den Great War. Alle Dinge
lassen sich auf zwei Seiten vereinfachen. Es gibt nur noch "Uns" und
"den Feind": "'He' is the Communist's 'Capitalist', 'Hitler's
Jew, Pound's Usurer, Wyndham Lewis's Philistine, the Capitalist's
Communist."[39] Daß eine solche Denkweise in Feindbildern typisch für
das 20.Jahrhundert ist, erscheint sehr vereinfacht. Es ist wohl eher so, daß
sich in jedem Krieg mit seinen klaren Fronten und seinen Kämpfen um Leben und
Tod eine solche Trennung von selbst
ergibt. In unserem Fall ist jedenfalls von Interesse, welche Art von Feindbild
und welchen Schematismus im Denken es im Ersten Weltkrieg gab.
Wie der englische Soldat sich selstr sah, wurde schon
aufgezeigt. Der "Hun", wie der deutsche Gegner genannt wurde, war im
Feindbilddenken der Briten der genaue Gegenpart hierzu. Im Stellungskrieg in
den Schützengräben kam es normalerweise nur in der Dämmerung morgens und abends
zu Feindberührung. Es gab also so gut wie keine Gelegenheit, den Gegner
deutlich bei Tageslicht zu sehen. Dieser besondere Umstand der Kriegsführung
trug zu dem Bild bei, daß sich die britischen Truppen von den Deutschen
machten. "Living in the 'other' land, 'the strange land that we could not
enter, the 'garden over the wall' of the nightmare,' as one soldier remembers,
it is no wonder that the enemy took on attributes of the montrous and
grotesque."[40] Schon bloße und zufällige Äußerlichkeiten gerieten zu
feindlichen Attributen. Allein die Form des deutschen Stahlhelmes schien alle
Vorurteile vom "Hun" bestätigen. Während der englische Helm einem
Bowler-Hut ("Melone") ähnelte und so die gutbürgerliche Normalität zu
reflektieren schien, war der deutsche Helm "serious" und
"Gothic".[41] Für die Andersartigkeit des deutschen Gegners sprach
letztendlich sogar, daß sie Schwarzbrot in den Schützengräben aßen, während die
Engländer Weißbrot hatten.
In jedem Krieg gibt es unzählige Gerüchte. Für den
Grabenkrieg an der Westfront trifft dies verstärkt zu, da der tatsächliche
Feind nur selten zu sehen war und gleichzeitig nur zensierte oder falsche
Nachrichten über den Kriegsverlauf zu den Truppen gelangten. "The result
was an approximation of the popular psychological atmosphere of the Middle
Ages, where rumor was borne not as now by ration-parties but by itinerant
'peddlars, jugglars, pilgrims, beggars'."[42] Fussel führt einige dieser Gerüchte an, die sich
häufig zur Propaganda gegen den deutschen Feind entwickelten und dessen
besondere Grausamkeit und Schlechtigkeit betonten. Insbesondere das Gerücht
über den von deutschen Soldaten "gekreuzigten Kanadier" war weitverbreitet
und tauchte in den Erinnerungen sowohl des Ersten, wie auch des Zweiten
Weltkrieges auf.[43] Zu der Vorstellung einer solchen Greueltat hatten die
in Flandern überaus zahlreichen Weg- und Gebetskreuze beigetragen, die für die
protestantischen Engländer neu und ungewohnt waren. Auch spielte bei diesem
Gerücht die religiöse Komponente, die Erinnerung an den gekreuzigten Christus,
eine wichtige Rolle, um den Gegner als das Böse schlechthin, als den
Antichrist, erscheinen zu lassen.
Vermutlich durch die falsche Übersetzung des deutschen
Wortes "Kadaver-Anstalt", also einer Sammelstelle für Tierleichen,
entstand das wilde Gerücht von der Existenz deutscher "Corpse-Rendering
Works" zur Fettherstellung. Hier, so hieß es, würden aus den Leichen
gefallener Soldaten Fette gewonnen.[44] Als diese Gerüchte im ersten Weltkrieg aufkamen, war
noch nicht zu erahnen, daß die Deutschen im nächsten Krieg tatsächlich die
Brutalität aufbrachten, ermordete KZ-Häftlinge zu Seife zu verarbeiten. Wenn
solche Gerüchte schließlich als bloße Greuelpropaganda entlarvt werden, tragen
sie aber auch zu weitverbreiteten Unglauben selbst bei wahren Nachrichten bei. Diese Folgen von
Lügenpropaganda waren, so Fussel, noch im nächsten Weltkrieg zu spüren."No
one can calculate the number of Jews who died in the Second War because of the
ridicule during the twenties and thirties of Allied propaganda about Belgian
nuns violated and children sadistically used. In a climate of widespread
scepticism about any further atrocity stories, most people refused fully to
credit reports of the concentration camps until ocular evidence compelled
belief and it was too late."[45]
Aus der Unsicherheit der Schützengräber entstand das
Gerücht vom Geist eines deutschen Offiziers, der hinter den britischen Linien
spionierte und dann verschwand und Zivilisten wurden verdächtigt, mit geheimen
Zeichen Kontakt zum Gegner aufzunehmen.[46]
Eine Legende, die gleich die Elemente mehrerer
Gerüchte beinhaltet, ist für Fussel die Geschichte einer Armee von Deserteuren
zwischen den Fronten. "The rumor was that somewhere between the lines a
battalion-sized (some said regiment-sized) group of half-crazed deserteurs from
all the armies, friend and enemy alike, harbored underground in abandoned
trenches and dugouts and caves, living in amitiy and emerging at night to
pillage corpses and gather food and drink."[47] In dieser Vorstellung spiegelt sich, so Fussel, die
Erkenntnis der Soldaten über ihre eigene Verrohtheit im Grabenkampf wieder,
aber auch die pazifistische Erkenntnis, daß nicht Deutsche und Briten Gegner
sind, sondern beide Völker Opfer des Krieges.[48]
"Simple
antithesis everywhere. That is the atmosphere in which most poems of the Great
War take place, and that is the reason for the failure of most of them as
durable art."[49], so Paul Fussel
über die Kriegsdichtung. Nicht nur
zwischen Deutschen und Briten verlief eine strikte Trennlinie. Vielmehr ist das
Denken und die Empfindung in der Kriegssituation an sich durch eine Vielzahl
scharfer Spaltungen und unversöhnlicher Gegensätze gekennzeichnet.
Ein Standardmotiv in der Memoirenliteratur ist der
Gegensatz vom aus der Erinnerung heraus immer als besonders idyllisch
beschriebenen Vorkriegssommer 1914 und dem Krieg. Der Kriegsbeginn
symbolisierte zugleich das Ende einer als romantisch und ruhig empfundenen
Vergangenheit: "For the modern imagination that last summer has assumed
the status of a permanent symbol for anything innocently but irrecoverably
lost. Transferred
meanings of 'our summer of 1914' retain the irony of the original, for the
change from felicity to desapair, pastoral to antipastoral, is melodramatically
unexpected."[50] Ausgehend von dieser klassischen Trennlinie des 4.
August 1914 ergaben sich vielfältige weitere Unterteilungen. So kann die schon
geschilderte Erfahrung der Somme-Schlacht als der Verlust der britischen
"innocence" gesehen werden und stellte in der Erinnerung der
Kriegsveteranen solch einen Bruch zwischen dem noch als heroisch empfundenen
Krieg und der brutalen Wirklichkeit dar. Nicht nur große Zeitspannen waren
scharf und antithetisch voneinander getrennt. Auch der normale Tagesverlauf im
Schützengraben bestand aus diesem Schematismus. Es gab nur Freund und Feind,
das eigene bekannte Terrain und das unbekannte Gebiet des Feindes, die Trennung
von Tag und Nacht durch die Dämmerung, die gewöhnlich als Zeitpunkt des
Angriffes diente.
Neben dem militärischen Gegner, den deutschen Truppen,
gab es innerhalb der englischen Nation und den Soldaten weitere scharfe
Spaltungen. In der englischen Armee trafen die Auswirkungen militärischer
Hierarchie mit den Erfahrungen des gesellschaftlichen Klassensystems zusammen.
Die verschiedenen Uniformen trennten den Stab von den Frontoffizieren, die
Offiziere von den Mannschaften. Die höheren Offiziersränge wurden von
Angehörigen der Oberklasse besetzt, die sich von den normalen Soldaten oftmals
in Sprache und Auftreten abhoben.
Für den Schriftsteller Siegfried Sassoon erschienen
die Unterschiede zwischen dem Stab und der Front ebenso groß, wie die zwischen
den militärischen Gegnern.[51] Es waren nicht nur die Unterschiede von Rang und
Uniform, vielmehr lagen Welten zwischen der Kampferfahrung der Truppe an der
Front und den sicheren Kommandozentralen im Rückland und in England. Die
Stabsoffiziere waren diejenigen, die, ohne sich selber in Gefahr zu begeben,
das weitere Schlachtgeschehen planten und nach Meinung der Truppe für das
Andauern des Krieges verantwortlich waren.
Die Spaltung zwischen Truppen und Stab entsprach auch
einer allgemeinen Spaltung der Briten in diejenigen, die die Erfahrung der
Front hatten und diejenigen, die den Krieg nur in England erlebten. Die
nichtkämpfenden Zivilisten wurden, ebenso wie der Stab, als Gegner der Truppe
empfunden. Die Kriegserfahrung war in der Heimat jedoch auch kaum zu vermitteln:
"But even if those at home had wanted to know the realities of war, they
couldn't have without experiencing them: its conditions were too novels, its
industrialized ghastliness too unprecedented. The war would have been simply
unbelievable. From the very beginning a fissure was opening between the Army
and civilians."[52]
Insbesondere Sassoons Kriegserinnerungen sind
durchzogen vom Bewußtsein dieser Frontenbildung und er steigert sich in offenen
Haß, wenn er in einem Gedicht beschreibt, wie die siegreichen britischen
Truppen nach dem Krieg ihre Gewehre gegen die Zivilisten in der Heimat richten,
die zwar patriotisch sind, vom Krieg in Wirklichkeit aber keine Ahnung haben. Das Gedicht
"Fight to a Finish" endet mit der Absichtserklärung: "To clear
those Junkers out of Parliament."[53] Hier sitzt der echte Feind der britischen Truppen, die
eigene Regierung wird als Verantwortlicher für den Krieg gesehen. Die englische
Nation war durch den Krieg tief gespalten in Zivilisten und Soldaten, in
Offiziere und Mannschaften, in Frontkämpfer und rückwärtige Truppen.
Es war eine Besonderheit des Ersten Weltkrieges, daß
die Front für die Briten fast vor der Haustüre lag. Den Fronturlaub konnten die
Soldaten häufig in der Heimat verbringen und es bestand ein ständiger
Briefverkehr in beide Richtungen. Auch Literatur und Geschenke konnten
innerhalb von wenigen Tagen an die Front geliefert werden.[54] Dennoch, oder gerade deswegen, empfanden die Truppen
häufig ein Unwohlsein in der Heimat, da sie spürten, daß man ihr Kriegserlebnis
dort nicht versteht. Robert Graves äußerte sich darüber in einem Interview:
"The funny thing was you went home on leave for six weeks, or six days,
but the idea of being and standing at home was aweful because you were with
people who didn't understand what this was all about."[55] Es war nicht nur die fehlende Erfahrung der
Zivilisten, es bestand auch die besondere Problematik, das Erlebte verständlich
auszudrücken bei den Soldaten: "The problem was less one of 'language'
than of gentility and optimism; it was less a problem of 'linguistics' than of
rhetoric."[56]
Eine strikte
Zensur lag über der Truppenpost und verschärfte das Informationsdefizit der
Zivilisten. Auch das Gefühl der Soldaten, ihre Angehörigen würden sie sowieso
nicht verstehen und nur beunruhigt werden, führte zum häufigen Gebrauch von
Euphemismen und Lügen über die tatsächliche Lage an der Front. "Clearly,
any historian would err badly who relied on letters for factual testimony about
the war.", bemerkt Fussel über die Feldpost richtig, wenngleich er auch
erwähnt, daß gerade diese Briefe der Mannschaften nach Hause, die in diesem
besonderen "British Phlegm"-Stil geschrieben sind, nicht nur eine
historische Quelle, sondern schon fast eine eigene Literaturgattung darstellen.[57] Mit inhaltslosen Phrasen versuchten die Soldaten,
ihren Angehörigen zu suggerieren, alles wäre in Ordnung und der Krieg
eigentlich eine reine Nebensache, die sie nicht im Geringsten erschüttere.
Eine Institutionalisierung erfuhr diese Art von
nichtssagenden Briefen durch den Gebrauch der "Field Service Post
Card". Der Absender durfte nur noch zwischen wenigen, vorgedruckten Phrasen auswählen und diese ankreuzen oder
ausstreichen. Es war unmöglich, etwas Persönliches zu sagen, oder Details über
den Krieg zu berichten. Die Karte war nur dazu geeignet, den Angehörigen zu
signalisieren, daß man noch lebte. Die millionenfach gebrauchte Postkarte war ein
Wegweiser für zukünftige Entwicklungen: "As the first widely known example
of dehumanized, automated communication, the post card popularized a mode of
rhetoric indispensable to the conduct of later wars fought by great faceless
conscripted armies."[58] Die
Postkarte drückte den Geist des modernen Massenkrieges aus, in dem es keine Individualität
mehr gibt und die Soldaten austauschbar werden. Eine klarere Absage an den
heldenhaften Krieger, der bis zum Great War das Bild des Soldaten beherrschte,
läßt sich kaum vorstellen. Auch der Glaube an die Individualität des britischen
Soldaten wird hier deutlich widerlegt und gehört nun ebenso, wie die
Arthur-Romane, der Legende an. Das Equivalent hierzu ist das Gedenken gerade an
den "unbekannten Soldaten", der anonym auf einem Soldatenfriedhof
begraben liegt.
Die Elemente, die als "The Matter of Flanders and
Picardy" gelten können, hat Fussel in seiner Untersuchung weitgehend
herausgearbeitet. Es war im Wesentlichen die Dichtung der jungen "wartime
poets" und ihre semi-autobiographischen Schriften, die im Bewußtsein der
englischen Öffentlichkeit das Bild vom "Great War" prägten. Die
Autoren zeigten auf, wie ein letztendlich von mittelalterlichen Mythen
geprägten Bild der Briten vom Krieg durch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges
erschüttert wurde. Sie waren die Ersten, die mit literarischen Mitteln einen
modernen, technisierten Massenkrieg zu erfassen suchten. Schon von daher fußt
vieles von der Literatur und Dichtung, die in und nach den folgenden Kriegen
entstand, egal ob Lyrik, Autobiographie, oder Prosa, auf der durch die Generation
der Kriegsschriftsteller gelegten Basis. Wenn, wie eingangs kritisiert, dieses
Bild vom Krieg nur eine Teilwirklichkeit darstellt, da viele Erfahrungen neben
denen der jungen Infantrieoffiziere der Westfront fehlen, so ist es doch
Realität, daß unser, und noch deutlicher das Bild der Briten vom Ersten
Weltkrieg tatsächlich einseitig geprägt ist. Der Geist des "Great
War" ist der Geist der Schützengräben von Flandern. Es ist nun die Aufgabe
der Historiker aufzuzeigen, welche anderen Aspekte und Empfindungen der Krieg
außerdem noch hervorrief.
Die Schriftsteller der Westfront prägten das Bild vom
Krieg. Wie weit war ihre Kunst eine passende Verarbeitung des Erlebten? Was
Arthur Lane über Owen und Sassoon schreibt, kann auch für die Masse der anderen
"wartime poets" gelten: "These men were humanists, and poets,
and they were involved in the war. It was their faith in humanity which caused
them to try to communicate, through their art, their awareness of the new
possibilities for evil which technology was providing for an unprepared race.
As poets and men of conscience, they realized that it was time to sound a
warning about where the old myths, whether cynically mishandled or simply
misunderstood, were leading man in an age of scientific industrialism. Their
poetry in form as in content, was an adequate response to the fact of modern
warfare - warfare which, in its technical sophistication, was more of a threat
to human values than war had ever been before."[59]
- Bernard Bergonzi:
Heroes' Twilight, A Study of the Literature of the Great War,
London 1965.
- Paul Fussel: The
Great War and Modern Memory, London 1977.
- Paul Fussel
(Hrsg.): Sassoon's Long Journy: An illustrated selection from Siegfried
Sassoon's
Memoirs of George Sherston, London/ New York
1983.
- Dominic Hibberd /
John Onion (Hrsg.): Poetry of the Great War, An Anthology,
London 1986.
- Arthur E. Lane:
An Adequate Response, The War Poetry of Wilfred Owen & Siegfried
Sassoon, Detroit 1972.
- George Parfitt:
English Poetry of the First World War, Contexts and Themes, London 1990.
- Catherine Reilly:
Scars upon my Heart, London 1981.
- Jon Silkin: Out
of Battle, the Poetry of the Great War, London 1972.
- Women's Poetry of
the First World War, London 1988.
Rezensionen:
- R. Bouyssou in : Études
Anglaises, XXXe Année 1977, 373.
- Douglas Kerr in:
The Modern Language Review, Vol. 72, 1977, 928-930.
- Jon Silkin in:
The Review of English Studies, New Series, Vol. XXVIII, 1977, 244-246.
[1] P. Fussel: The Great War and Modern
Memory, London 1977.
Rezensionen siehe z.B.:
- R.Bouyssou: Études Anglaises, XXXe Année 1977/3,
373.
- J. Silkin:The Review of English Studies, New Series, Vol.XXVIII,
1977., 244-246.
[2] Fussel,War, VII: "To the
Memory of Technical Sergant Edward Keith Hudson, ASN 36548772, Co.f.410th
[4] ebda.IX.
[13] C. Reilly (ed.): Scars upon my
Heart, London 1981.
[19] P. Fussel (ed.): Sassoon's Long Journy:
An illustrated selection from Siegfried Sassoon`s Memoirs of George
[20] Fussel War 206.
[59] A.E. Lane: An Adequate Response,
The War Poetry of Wilfred Owen & Siegfried Sassoon, Detroit 1972.