Die
Ausstellung »Schießbefehl für Lichtenberg« erinnert an das gewaltsame Ende der
Revolution vor 100 Jahren
»Furchtbarer
Massenmord durch Spartakisten in der Warschauer Straße. Sechzig Kriminalbeamte
und viele andere Gefangene erschossen.« Mit dieser
Schlagzeile machte die Berliner Tageszeitung BZ am Mittag am Sonntag 9.
März 1919 auf. Es handelte sich um eine Lüge oder, wie man heute sagen würde, »Fake News«. Denn beim Sturm auf ein Berliner
Polizeipräsidium, aus dem zuvor auf Demonstranten geschossen worden war, waren
nur zwei Polizisten im Gefecht getötet worden. Urheber der von der BZ-Redaktion
ungeprüft ins Blatt gebrachten Falschmeldung war die
Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Diese aus ehemaligen Reichswehrsoldaten
gebildete Truppe war auf Weisung des sozialdemokratischen Reichswehrminister
Gustav Noske in Berlin einmarschiert, nachdem der
Großberliner Arbeiterrat am 4. März einen Generalstreik mit der Forderung nach
Anerkennung der seit der Novemberrevolution bestehenden Arbeiterräte ausgerufen
hatte. Mit schwerem Kriegsgerät gingen die Freikorps zuerst im Innenstadtgebiet
um den Alexanderplatz gegen Arbeiterwehren vor. Nachdem der Generalstreik von
den Sozialdemokraten in der Streikleitung am 8. März beendet wurde, wandte sich
die konterrevolutionäre Soldateska zum Großangriff auf die östlichen Berliner
Arbeiterviertel als Hochburg der revolutionären Kräfte.
»Schießbefehl für Lichtenberg« heißt eine kleine Ausstellung,
die noch bis zum 5. Mai im Museum Lichtenberg im Stadthaus daran erinnert, wie
vor 100 Jahren die Arbeiterrätebewegung mit militärischer Gewalt brutal
niedergeschlagen wurden. Der angebliche Polizistenmord
von Lichtenberg diente Noske als Begründung für den
Schießbefehl: »Die Grausamkeit und Bestialität der gegen uns kämpfenden
Spartakisten zwingen mich zu folgendem Befehl: Jede Person, die mit den Waffen
in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu
erschießen.«
In der Ausstellung
gezeigte Fotos dokumentieren auf eindrucksvolle Weise, wie Soldaten mit Kanonen
und Minenwerfern Wohnhäuser zu Ruinen schossen. Ein Bild zeigt Soldaten mit
Stahlhelmen vor einem britischen »Tank« auf dem Bülow-Platz, dem heutigen Rosa-Luxemburg-Platz.
Der Panzer war eine Kriegsbeute, die nun gegen Arbeiter zum Einsatz kam, die
diese neuartige Waffe teilweise noch wenige Monate zuvor an der Westfront
erlebt hatten. Streikende Arbeiter hatten zum Schutz vor den Freikorps, wie auf
einem anderen Bild zu erkennen ist, auf der Höhe Prenzlauer Allee/Ecke
Linienstraße aus Möbelwagen eine Barrikade errichtet. Heute befindet sich dort
die Redaktion der jungen Welt.
»Fliegerkampf in der Frankfurter Allee«, meldete die
Mittagszeitung Neue Berliner am 9. März 1919.
Der erste Luftangriff auf die deutsche Hauptstadt wurde nicht, wie in
Geschichtsbüchern zu lesen ist, im Juni 1940 von der Royal Air Force geflogen.
Es waren vielmehr deutsche Piloten, die auf Geheiß eines sozialdemokratischen
Ministers im März 1919 Bomben auf Berliner Arbeiterviertel abwarfen.
Freikorpsmänner durchkämmten Haus für Haus. Eine als Kriegsandenken aufgehobene
Granathülse oder, wie in der Ausstellung gezeigt, ein aus einem Bajonett
gefertigter Brieföffner, aber auch ein Bild von Karl Liebknecht oder der Besitz
einer Gewerkschaftskarte reichten aus, um an die Wand gestellt zu werden. Tagelang
spülte die Spree Leichen ans Ufer. Nach amtlichen Angaben fielen rund 1.200
»Spartakisten« den Gemetzeln zum Opfer. In Wahrheit waren nur die wenigsten der
Toten Mitglieder der KPD (Spartakusbund). Leider nimmt es auch die Ausstellung
nicht immer so genau, wenn sie bereits streikende Arbeiter zu »Aufständischen«
erklärt. Begleitend zur Ausstellung ist eine reich bebilderte Broschüre
erschienen. Zudem findet am 9. März im Rathaus Lichtenberg die Tagung »Die
zweite Revolution? Das Frühjahr 1919 in Deutschland und Europa« mit Historikern
aus dem In- und Ausland statt. Den Opfern der Märzkämpfe wird am 13. März um 15
Uhr an der »Blutmauer« in der Lichtenberger Möllendorffstraße
gedacht. Dort befinden sich Gedenktafeln für mehrere an dieser Stelle vor 100
Jahren hingerichtete Arbeiter.
Bis 5. Mai, Berlin,
Museum Lichtenberg
Aus: junge Welt
5.März 2019