Junge Welt 07.08.2013
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Grünes Ergenekon
Urteile gegen angebliche Putschisten
Nick Brauns
Unter dem
Vorwurf der Bildung einer bewaffneten Bande, die mit Anschlägen einen
Militärputsch gegen die islamisch-konservative AKP-Regierung von
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vorbereiten
wollte, wurden am Montag in Istanbul rund 250 Angeklagte im fragwürdigen Ergenekon-Prozeß zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Höchstrangiger Angeklagter war der frühere Generalstabschef
Ilker Basbug, der ebenso wie 18 weitere Militärs,
Journalisten, Politiker und Akademiker in dem von der kemalistischen Opposition
als »illegal« bezeichneten Prozeß lebenslängliche
Haft erhielt.
Erdogan und die seiner Regierung nahestehenden Medien feiern den »historischen Prozeß« als Meilenstein bei der Demokratisierung des
Landes, in dem die Armee zwischen 1960 und 1997 vier gewählte Regierungen
gestürzt hat. Auffällig ist das Schweigen der US-Regierung zu den Urteilen, die
auch hohe NATO-Offiziere betrafen. Die von der AKP betriebene Säuberung der
Armeeführung ist in der Tat kaum denkbar ohne Zustimmung Washingtons. Doch in
der US-Führung hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, daß
die durch Militarismus, Staatsfixiertheit und
engstirnigen Nationalismus verknöcherten kemalistischen Staatsbürokraten die
der Türkei zugedachte Rolle als Trojanisches Pferd der NATO im Nahen Osten
nicht mehr erfüllen konnten. Vor dem Hintergrund des von den USA
vorangetriebenen »Größeren-Mittleren-Osten-Projektes« wurde eine neue Kraft
gebraucht, die die Masse der gläubigen Bevölkerung für den neoliberalen Umbau
der Türkei gewinnen und gleichzeitig als Vorbild in die islamische Welt
ausstrahlen konnte. Dieser neue Agent des Westens wurde die 2002 an die Macht
gewählte AKP mit der von ihr vertretenen Ideologie einer türkisch-islamischen
Synthese.
Unter der AKP wurde die zweitgrößte NATO-Armee als innenpolitischer Faktor
ausgeschaltet. Doch anstelle einer Demokratisierung der Türkei fand ein Wandel
vom kemalistischen Militärstaat zum neoliberalen Polizeistaat mit religiöser
Fassade statt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß die von den nun verurteilten Militärs begangenen
Kriegsverbrechen in Kurdistan während des Ergenekon-Prozesses
nicht zur Sprache kamen. Schließlich hat die AKP bei der Aufstandsbekämpfung
noch vor drei Jahren eng mit dem jetzt verurteilten General Basbug
kooperiert.
Mit dem Ergenekon-Verfahren wurden zwar einige
berüchtigte Exponenten des »tiefen Staates« – Hüter des Laizismus verstehenden
Militärs, kemalistische Bürokraten, nationalistische Ideologen – ausgeschaltet.
Doch gleichzeitig ist der Prozeß der beste Beweis für
die Weiterexistenz eines nunmehr religiös gewandelten »tiefen Staates«. Denn
die für die juristischen Hexenjagden auf Opponenten verantwortlichen Kader der
AKP und der pantürkisch-islamischen Gülen-Gemeinde haben längst ein »grünes Ergenekon« gebildet.