Die Konsequenz der Dichtung
»Wir blicken aufs
Ziel«: Eine Münchner Ausstellung zur Rolle von Schriftstellern in der
bayerischen Revolution 1918/19
Von Nick Brauns
»Die
Dichtkunst ist nichts als eine meiner Waffen im Kampf«, notierte der Dichter
Erich Mühsam Ende 1927 in seinem Tagebuch, und er hätte kaum Marx’ Diktum
widersprochen, wonach die Waffe der Kritik die Kritik der Waffen nicht ersetzen
könne. Dass ein bekennender Anarchist aber mit ausdrücklicher Genehmigung der
Polizei eine Pistole mit sich führen konnte, dürfte in der Weltgeschichte eher
die Ausnahme sein. »Herr Mühsam, Georgenstr. 105 II, hat Erlaubnis, Waffen zu
tragen« – das bescheinigt ein am 23. Dezember 1918 vom Polizeipräsidium München
ausgestellter Ausweis, der aus dem Gorki-Institut für Weltliteratur in Moskau
seinen Weg in die Ausstellung »Dichtung und Revolution« der Münchner
Stadtbibliothek Monacensia im Hildebrandhaus
gefunden hat.
Im Mittelpunkt der Ausstellung über
Revolution und Konterrevolution in Bayern 1918/19 stehen vier Schriftsteller.
Neben Mühsam sind dies der erste Ministerpräsident des von ihm in der Nacht zum
8. November 1918 ausgerufenen Freistaates Bayern, Kurt Eisner, der
»Vollzugsrat« der Räterepublik, Ernst Toller, sowie der schöngeistige Anarchist
Gustav Landauer, der als »Beauftragter für Volksaufklärung« den Kampf gegen
klerikale Verdummung aufnahm. Die Ausstellung präsentiert anhand zahlreicher
biographischer Dokumente, Manuskripte, Tagebücher, Briefe, Objekte und Fotografien
das Leben und Wirken dieser vier Revolutionäre, während zeitgenössische
Flugblätter und Plakate die historischen Umbrüche der Revolutionszeit
verdeutlichen.
»Die Konsequenz der Dichtung ist
Revolution«, zeigte sich Landauer überzeugt. Darin stimmte er mit Mühsam und
den Unabhängigen Sozialdemokraten Eisner und Toller überein, Uneinigkeit
bestand über die sonstigen Mittel und Wege. »Wir sind nicht zufrieden mit der
Beschränkung der revolutionären Forderungen auf politische Angelegenheiten. Wir
verlangen die Verwirklichung des Sozialismus als Krönung der gegenwärtigen
Volksbewegung«, heißt es in einem Flugblatt der um Mühsam und Hilde Kramer
gegründeten Vereinigung revolutionärer Internationalisten Bayerns. »Wir blicken
nicht auf den Weg, sondern aufs Ziel. Das Mittel der Revolution heißt
Revolution. Das ist nicht Mord und Totschlag, sondern Aufbau und Verwirklichung.« Auslöser der von den Anarchisten und Kommunisten
erhofften neuen revolutionären Welle, die in der Ausrufung der Räterepublik
gipfelte, wurde ausgerechnet die Ermordung des in ihren Augen zu gemäßigt
agierenden Eisner durch einen völkischen Terroristen.
Es würden Flugblätter verteilt, »die
in der würdelosesten und verbrecherischsten Weise die Leidenschaften der Massen
gegen die Juden aufzuhetzen versuchen«, warnte Toller in einem Aufruf des
Zentralrates die Bürger der Räterepublik. Eine Organisation reaktionärer
Verschwörer wolle die Massen zu Judenpogromen hinreißen, »um den Freikorps
Preußens den Weg nach Bayern zu öffnen und die proletarische Republik
niederzuschlagen«. Nicht nur die Verschwörer der Thule-Gesellschaft,
die sich unter dem Zeichen des Hakenkreuzes sammelten, setzten auf
Antisemitismus. Eine sozialdemokratische »Volksregierung von Württemberg«
hetzte in einem Aufruf, der den zur Niederschlagung der Räterepublik nach
Bayern geschickten Truppen ausgehändigt wurde, gegen »land-
und wesensfremde Literaten und politische Hochstapler«, »die durch
Überrumpelung und Vorspiegelung falscher Tatsachen sich in den Besitz der
Gewalt zu setzen vermochten«.
Landauer fiel wie mehr als tausend
weitere Räterepublikaner dem Gemetzel der Anfang Mai 1919 in München
einmarschierenden Freikorps zum Opfer. Für die zu langjähriger Festungshaft
verurteilten Toller und Mühsam wurde hinter Kerkermauern wieder die Schreibfeder
zur Waffe im revolutionären Kampf. Davon zeugen Dramen wie Tollers »Masse
Mensch« und Mühsams »Judas«, die zugleich der
Aufarbeitung der jüngsten Erfahrungen dienten.
Da auch in Bayern der
Geschichtsunterricht radikal zusammengestrichen wurde, ist es gut, dass in der
Ausstellung ein »Kleines Wörterbuch der Revolution« für »Rebellen ab zwölf
Jahren« zum Mitnehmen ausliegt. In einfacher Sprache werden darin Begriffe von
»Agitation« und »Anarchismus« bis »Weißgardist« und »Zensur« erklärt, die vor 100
Jahren noch vielen politisch engagierten Arbeitern verständlich waren. Ergänzt
wird die Schau durch einen von der Kuratorin Laura Mokrohs
verfassten und mit tollen Arbeiten der Comiczeichnerin Barbara Yelin bebilderten Blog auf dem Literaturportal Bayern.
Ein vom Kulturreferat der
Landeshauptstadt München vorgelegtes Programmheft führt rund 330
Veranstaltungen zu 100 Jahren Revolution und Rätezeit
an. Eine kleine Auswahl: Die Oskar-Maria-Graf-Gesellschaft veranstaltet die
musikalisch begleitete Lesereihe »Uns kann nur die Revolution retten«, eine
Vortragsreihe befasst sich mit der »Geburt des Antikommunismus« in Reaktion auf
die Räteherrschaft, ein Stadtrundgang führt auf Mühsams
Spuren zu den Kaffeehäusern der Schwabinger Boheme. Mit der »Erfindung des Russn« – gemeint ist die in bayerischen Biergärten beliebte
Mischung aus Weißbier und Zitronenlimonade – in den Revolutionstagen befasst
sich eine Lyriklesung am 21. Februar. Und am 15. März
wollen Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, Münchens sozialdemokratischer
Altoberbürgermeister Christian Ude und CSU-Urgestein Peter Gauweiler »reden
über die Revolution«.
Ausstellung »Dichtung ist Revolution«, bis 30. Juni, Monacensia
im Hildebrandhaus, Maria-Theresia-Str. 23, 81675
München
literaturportal-bayern.de/journal
Junge Welt 12.1.2019