Der Anfang, der ein Ende war

Ralf Höllers neues Buch zur bayerischen Revolution von 1918/19

 

Von Nick Brauns

 

Am 7.November 1918 stürzte in München der erste deutsche Königsthron unter dem Ansturm der Arbeiter, Bauern und Soldaten. Am Morgen des 8.November wehten rote Fahnen auf dem Frauendom und Plakate  in der ganzen Stadt verkündeten die Ausrufung des "Freistaates Bayern" durch den sozialistischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Wie konnte es geschehen, daß nur ein halbes Jahr später die Ordnungszelle Bayern geschaffen wurde, die Hitler den Weg zur Macht ebnete und heute im CSU-Staat ihre Fortsetzung findet? Dieser Frage geht der Bonner Journalist Ralf Höller nach.

"Der Anfang, der ein Ende war" beschreibt die Geschichte der Bayerischen Revolution von 1918/19 von der wachsenden Unzufriedenheit in den Hungerwintern des Weltkrieges über die Ausrufung des Freistaates, die Ermordung Eisners und die Gründung der Räterepubliken bis zur blutigen Gegenrevolution im April und Mai 1919.

In dieser kurzen Zeit wurde ausgerechnet das konservative, bäuerliche Bayern zu einem Labor der Weltanschauungen. Königlich bayerische Sozialdemokraten um Erhard Auer trafen auf die Pazifisten um Kurt Eisner in der Unabhängigen Sozialdemokratie und stritten um die Frage Parlamentarismus oder Rätesystem, Kapitalismus oder Planwirtschaft. Kommunisten unter der Führung des später von einem Militärtribunal hingerichteten Eugen Leviné stritten sich mit utopischen Anarchisten wie Gustav Landauer und Erich Mühsam um den wahren Weg zum Sowjetstaat. Linksliberale wie der Soziologe Max Weber gerieten mit monarchistische Studenten aneinander.

Auch die Gegenrevolution sammelte sich in ihren verschiedensten Ausprägungen: Die weiß-blauen Separatisten der Bayerischen Volkspartei als Ahnherr der CSU, die völkische Thule Gesellschaft, die schon das Hakenkreuz als Erkennungssymbol führte, protofaschistische Freikorps, für deren Aufbau besonders in sozialdemokratischen Organen geworben wurde. In den Reichswehr- und Freikorpseinheiten, die auf Weisung Noskes und des bayerischen SPD-Ministerpräsidenten Hoffmann auf München marschierten, waren unter anderem die späteren Nazi-Führer Rudolf Heß, Ernst Röhm, Heinrich Himmer und Hans Frank. Adolf Hitler hielt sich zur Zeit der Räteherrschaft in München verborgen, seine antikommunistische und antisemitische Weltanschauung wurde damals entscheidend geprägt.

"In der Niederschlagung der Räterepublik waren alle Kräfte von Mitte links bis rechtsaußen vereint; das Band, das sie zusammenschloß, war der Antisemitismus", führt Höller aus. Gegen den gebürtigen Berliner Kurt Eisner wurde solange die Hetze verbreitet, er sei eigentlich galizischer Jude, bis der junge völkische Offizier Anton Graf Arco am 21. Februar 1919 die tödlichen Schüsse auf den Ministerpräsidenten abgab. "Eisner ist Bolschewist, er ist Jude, er ist kein Deutscher, er fühlt nicht deutsch, ... er ist ein Landesverräter. Das ganze Bayernvolk ruft: Weg mit ihm! Er geht nicht, also ..." begründet Arco seine Tat. Die Thulegesellschaft distanzierte sich von dem Attentäter, da sie in ihm einen Halbjuden sieht. Während der Räterepublik fiel die antisemitische Stimmungsmache von der Judendiktatur wiederum im Kleinbürgertum und bei den Bauern auf fruchtbaren Boden, waren doch unter anderem Mühsam, Landauer und Leviné jüdischer Herkunft.

Die mit vielen Tagebuchaufzeichnungen  unter anderem von Oskar Maria Graf sowie Thomas und Heinrich Mann aufgelockerte Schilderung der Revolutionsereignisse wird ergänzt durch kurze Portraits der wichtigsten politischen Aktivisten der verschiedenen Richtungen. Hier irrt Höller, wenn er in Erich Mühsam den Prototyp den Individualanarchisten sieht. Mühsam bezeichnete sich selbst als anarchistischen Kommunisten und trat 1919 sogar für einige Monate der KPD bei.

Vorurteile scheinen den Autoren auch zu prägen, wenn er als Ziel der Kommunisten die Diktatur der KPD angibt, die sie mit Terror zu verteidigen gedächten. Gerade in Eugen Levinés Redemanuskripten hätte er nachlesen können, wie sehr die Kommunisten jeden Putschismus und jede Stellvertreterpolitik ablehnten. Nicht, weil sie in der Minderheit war, weigerte sich die KPD, an der ersten Räterepublik teilzunehmen, sondern weil es unter der Arbeiterschaft noch keine Basis für die Rätemacht gab. Als die KPD nach Niederschlagung des sozialdemokratischen Palmsonntagsputsches die kommunistische Räterepublik ausrief, stützte sie sich dagegen auf die inzwischen in den Betrieben und Kasernen geschaffenen Rätestrukturen.. Als sich Leviné mit seiner Linie der kompromißlosen Verteidigung Münchens ohne Verhandlungen mit den Weißen gegen die zögerlichen USPD-Anhänger um Ernst Toller nicht durchsetzen konnte, räumten die Kommunisten freiwillig ihre Posten in der Räteregierung.

An die marxistische Analyse von Hans Bayers schon lange vergriffenen marxistischen Standardwerk "Von der Novemberrevolution zur Räterepublik in München" reicht Höllers Buch trotz größerem Materialreichtums nicht heran. Wesentlich neue Erkenntnisse bringt er auch nicht. Dennoch füllt Höllers Buch eine Lücke auf dem Buchmarkt. Schon lange gab es keine preiswerte und dazu noch spannend zu lesende Gesamtdarstellung der bayerischen Revolution mehr.

 

Ralf Höller: Der Anfang, der ein Ende war. Die Revolution in Bayern 1918/19

Aufbau Taschenbuch Verlag 1999

298 Seiten

DM 16.90