Zwischen Kant und Marx -

Eine neue Biographie über den Sozialisten Kurt Eisner

 

Von Nick Brauns

 

Die Person des ersten Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern ruft bis auf den heuten Tag heftige Emotionen hervor. Während der Sozialist Kurt Eisner von Sozialdemokraten und Sozialisten als revolutionärer Gründer des Freistaates Bayern geehrt wird, verunglimpfen ihn konservative Kreise weiterhin als einen fremdländisch-jüdischen Cafehausliteraten und idealistischen Wirrkopf.

Gerade zu symptomatisch mutet es an, dass die Straße, in der Eisner vom rechtsextremen Offizier Anton Graf Arco ermordet wurde, nicht seinen Namen trägt, sondern den des antisemitischen Kardinals Faulhaber, der sich weigerte, zu Eisners Beerdigung die Glocken läuten zu lassen.

Eine Tafel, die an Eisners Ermordung erinnert, befindet sich auf einem schmalen Grünstreifen neben den Straßenbahnschienen am Promenadenplatz und lässt eher an ein Verkehrsopfer, denn einen politischen Mord denken. Aber bis heute weigern sich die Besitzer des Hotels  "Bayerischer Hof", vor dem sich die Bluttat ereignete, eine Erinnerungstafel am Haus anbringen zu lassen. Vor einigen Jahren begannen konservative Historiker gar einen Streit darüber, ob Eisner überhaupt den heute von der CSU okkupierten "Freistaat" ausgerufen hatte, oder doch nur einen "Volksstaat". Neu im Ring im Kampf um Eisners Andenken sind die Demokratischen Sozialisten. Der bayerische Ableger der Rosa-Luxemburg-Stiftung trägt den Namen Kurt-Eisner-Verein.

 

Bei allem Wirbel, für den Eisner auch heute noch sorgt, fällt auf, dass zur Beurteilung seiner Persönlichkeit in der Regel nur die letzten vier Monate seines Lebens herangezogen werden. Die Eckpunkte sind der 7.November 1918, an dem Eisner den Sturz des bayerischen Königs verkündete und der 21.Februar 1919 als Tag seiner Ermordung. Mit diesem verkürzten Eisnerbild bricht eine neue umfassenden Biographie des Archivars im Hauptstaatsarchiv Bernhard Grau. Graus Absicht ist es, Eisners revolutionäres Handeln nicht nur als Reaktion auf die politischen Ereignisse des Jahres 1918 sondern als Konsequenz aus Eisners philosophischer Konzeption heraus zu erklären.

 

Der 1867 als Sohn einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin geborene Eisner begann 1886 nach dem Besuch des Askanischen Gymnasiums ein Studium der Philosophie und Germanistik. In der Auseinandersetzung mit der Philosophie Friedrich Nietzsches sprach sich Eisner in seiner ersten Buchveröffentlichung 1892 gegen ein deterministisches und rassistisches Menschenbild und für eine Ethik der Tat aus. Er bezeichnet sie soziale Frage als Grundfrage der Zeit. Eisners Absage an Nietzsche geht einher mit seinem Bekenntnis zum Sozialismus. Freilich ist dies nicht der Marxismus der Sozialdemokratie, sondern ein Gefühlssozialismus, in dem der Erziehungsgedanke das zentrale Element einnimmt. In Eisners Konzeption, nach der bayerischen Revolution die Räte als "Schule der Demokratie" beizubehalten, zeigt sich die Kontinuität dieses Erziehungsgedankens. Unter dem Einfluss des Marburger Philosophen Hermann Cohen entwickelt sich Eisner zum Neukantianer. Die linken Neukantianer attestieren dem Marxismus das Fehlen einer systematischen, den wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Ethik. So akzeptiert Eisner den historischen Materialismus zwar als Hilfswissenschaft zur Analyse der Gesellschaft. Doch zur ethischen Begründung des Sozialismus zieht er Kant heran, dem er Marx eindeutig unterordnet.

 

Dieser Kantsche Idealismus war es tatsächlich, der den 1898 als Redakteur des Zentralorgans "Vorwärts" in die SPD eingetretenen Eisner entgegen aller Legenden nicht ins Fahrwasser der Revisionisten um Eduard Bernstein geraten lässt. Gegenüber Bernsteins Diktum "Der Weg ist alles, das Ziel nichts" erklärte Eisner, ohne eine klare, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Bestimmung des sozialistischen Ziels bliebe die Arbeiterbewegung nicht nur seelen- sondern auch orientierungslos. Eisner war überzeugt, dass der Sozialismus sich nur im revolutionären Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung erringen lässt.

 

Mit den Reformisten war Eisner dagegen in Fragen der Tagespolitik einig. Als der linksradikale Parteiflügel um Rosa Luxemburg anlässlich der Millerandkrise in Frankreich eine Beteiligung sozialistischer Minister an bürgerlichen Regierungen prinzipiell ausschloß, verteidigte Eisner diese Option für nichtmonarchistische Staaten. Im Unterschied zu Bernstein hatte er keine Illusionen, dadurch eine verbesserte Reformpolitik betreiben zu können. Durch eine Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie wäre es allerdings möglich, die große Masse der Bevölkerung, die der Sozialdemokratie bisher fern stehe, zu gewinnen.

 

Im Unterschied zur Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie, für die Außenpolitik ein zu vernachlässigender Faktor war und im deutlichen Gegensatz zu den Parteirechten, die einem sozialistischen Kolonialismus das Wort redeten, gehörte Kurt Eisner seit der Marokkokrise zu den entschiedensten Mahnern vor der Aggressivität und Unberechenbarkeit des deutschen Imperialismus. Anders als für die Marxisten waren Kriege für Eisner keine systemimmanente Notwendigkeit des Kapitalismus, sondern eine Folge des Ausschlusses der Volksmassen von der Regierungsverantwortung.

 

Nicht gefeit war Eisner gegen die Russlandfeindschaft als Achillesferse der deutschen Sozialdemokratie. Hatte schon August Bebel geäußert, wenn es gegen den Zaren ginge, würde er auf seine alten Tage noch die Flinte schultern, so machte sich Eisner in den ersten Kriegstagen vehement für eine Zustimmung zu den Kriegskrediten stark. Während des Krieges überzeugte sich Eisner allerdings anhand von Akteneditionen der auswärtigen Politik, dass es sich mitnichten um einen russischen Angriffskrieg auf Deutschland handle. Überzeugt davon, dass der deutsche Imperialismus die Hautschuld an dem Völkergemetzel trage, versammelte Eisner in München eine Schar zumeist jugendlicher Kriegsgegner zu regelmäßigen Diskussionsabenden. Aus diesem ca. 100 Personen umfassenden Kreis, der vom Anarchisten Erich Mühsam über die Keimzelle der Münchner USPD bis hin zu bürgerlichen Pazifisten reichte, rekrutierten sich die Anführer des Münchner Munitionsarbeiterstreiks im Januar 1918 und der Münchner Revolution ebenso, wie einige führenden Köpfe späteren Räterepublik.

 

Eisners Programm als Ministerpräsident nach der Revolution war alles andere als radikal. Bewusst verzichtete er auf die Sozialisierung von Produktionsmitteln als angeblich verfrüht. Die von ihm mitbegründeten Arbeiter- und Bauernräte sollten zwar gegenüber dem Parlament beratende, aber keine exekutive Funktion haben. Gegenüber Berlin vertrat Eisner einen Föderalismus, der die Eigenständigkeit Bayerns garantieren sollten. Durch eine von ihm betriebene bayerische Außenpolitik hoffte Eisner gar, ein besonderes Entgegenkommen der Alliierten zu erlangen. Mit seiner Veröffentlichung deutscher Dokumente zu Kriegsschuld provozierte er allerdings vor allem den erbitterten Hass seiner nationalistischen Gegner, der ihm schließlich das Leben kosten sollte.

 

Nicht an fehlender politischer Erfahrung scheiterte Eisner letztlich, so Grau, sondern an der schmalen sozialen Basis seiner Anhängerschaft. Da unter seiner zumeist jugendlichen Gefolgschaft die Spezialisten zur Verwaltung der Staatsgeschäfte fehlten, musste Eisner gezwungenermaßen die erfahrenen Politiker der Mehrheitssozialdemokraten mit ins Parlament nehmen. Und deren Führer Erhard Auer hatte noch am Tag vor der Revolution den königlichen Ministern versprochen, den "Juden" Eisner "an die Wand zu drücken".

Die Schmutzarbeit überließen die bayerischen Noskes wie bei der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs in Berlin wenige Wochen zuvor lieber der offenen Reaktion. Dies hindert die Bayern-SPD heute freilich nicht, Eisner wieder als einen der ihren zu vereinnahmen, wie die Buchpräsentation zu Eisners 82.Todestag auf dem Kulturforum der Münchner Sozialdemokratie zeigte.

 

Bernhard Grau: Kurt Eisner 1867-1919 - Eine Biographie

Beck 2001, 656 Seiten, Gebunden, DM 98,-

ISBN: 3-406-47158-7